von Julius Schlumberger und Fernanda Ballesteros
Die nächste Legislaturperiode der Europäischen Union wird von wichtigen klima- und umweltpolitischen Entscheidungen gesäumt sein. So werden unter anderem die Europäischen Klimaschutzziele (NDC) bis 2030 beschlossen sowie über die Ausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verhandelt, ergo um die Frage, welche Formen der Landwirtschaft wir für zukunftsfähig halten, wie wir unsere ländlichen Räume entwickeln und wie wir sie fördern wollen. Daneben soll die Entwicklung der Biodiversitätsstrategie für 2030 und der EU-Strategien für emissionsarme Mobilität und alternative Kraftstoffe die Grundlage für ein gemeinsam nachhaltiges Europa schaffen. Ebenso wird über die finanzielle Ausstattung und Ausrichtung des LIFE-Programms entschieden, eines der wichtigsten Finanzierungsinstrumente der EU von Umwelt‑, Natur- und Klimaschutzprojekten.
Daneben wird das EU-Parlament in der neuen Legislaturperiode auch mit darüber entscheiden, wie ambitioniert die Mitgliedstaaten für eine saubere Zukunft von Nord- und Ostsee arbeiten und welche Maßnahmen priorisiert werden. Außerdem wird es Verhandlungen geben, die darüber entscheiden, ob Überfischung und Flottenüberkapazitäten fortgesetzt werden und ob die EU mit ihrer Plastikstrategie entschieden genug mit dem EU-weiten Umgang mit Plastik und damit auch gegen die Vermüllung der Meere vorgeht. Zudem wird das Parlament auch dringend Strategien für die Förderung der Kreislaufwirtschaft vorlegen müssen. All dies sind sehr wichtige politische Entscheidungen für den Umwelt- und Naturschutz in Europa und in Deutschland.
Diese Dringlichkeit scheint auch bereits in einer breiteren Wählerschaft Anklang gefunden zu haben. Laut einer jüngst veröffentlichten Meinungsumfrage sehen bis zu 77 Prozent der potentiellen Wähler*innen die globale Erderwärmung als ein wichtiges Kriterium, um zu entscheiden, für wen sie bei den Europawahlen im Mai stimmen wollen.
Deutliches Gefälle im Abstimmungsverhalten
Doch die Analysen offenbaren, ein deutliches Klimaschutz-Gefälle innerhalb des EU-Parlaments. Das geht aus einer am Mittwoch, 17. April 2019, veröffentlichten Analyse des Climate Action Networks (CAN) Europe zum Abstimmungsverhalten von Europaabgeordneten hervor. Nicht zuletzt gefährdet der zunehmend wahrnehmbare Rechtsruck in Europa die Klimaziele. Der Think Tank adelphi untersucht in einer aktuellen Studie, wie sich rechtspopulistische Parteien in Europa zum Problemfeld Klimawandel verhalten.
Die Bilanz dieser Studie ist ernüchternd. Etwa zwei von drei rechtspopulistischen Abgeordneten stimmen regelmäßig gegen klima- und energiepolitische Maßnahmen. Sieben von 21 rechtspopulistischen Parteien leugnen den Klimawandel, seine menschengemachten Ursachen oder negativen Folgen.
In dieses Muster reiht sich auch das AFD EU-Wahlprogramm 2019 ein, das die Schuld des Menschen am Klimawandel bezweifelt und sich ausdrücklich gegen die aktuelle europäische Klima- und Energiepolitik ausspricht. In dem Programm spricht sich die AFD gegen die Grenzwerte zur Luftreinhaltung sowie die daraus resultierenden Fahrverbote aus. Man möchte zudem Kohle, Gas und Kernkraft als verlässliche und günstige Energielieferanten fördern. Laut der AFD ist die Kernkraft die sicherste Energiequelle.
Was versprechen die Parteien?
Bündnis 90/die Grünen zeigt in der vergangen Legislaturperiode bereits ein sehr gutes Abstimmungsverhalten. Aus einer Analyse des Deutschen Naturschutzrings (DNR) sowie dem Climate Action Network (CAN) geht hervor, dass die Abgeordneten in 88% der gewerteten Fälle, konsequent für Klimaschutzmaßnahmen stimmten. Dieser Habitus setzt sich in dem etwa 200 Seiten langen EU-Wahlprogramm der Grünen fort, das klare Klimaziele formuliert. Bis 2030 sollen etwa 45 Prozent Erneuerbare Energien bei Strom, Wärme und Mobilität genutzt werden. Die CO2-Emissionen sollen um mindestens 55% gegenüber 1990 gesenkt werden. Zudem soll die Energieeffizienz um 40% gesteigert werden und ein vollständiger Kohleausstieg vollzogen werden. Bis 2050 sollen 100 Prozent Erneuerbare Energien in allen Sektoren genutzt werden. Zeitnah möchte man außerdem ein europäisches CO2-Mindestpreissystems für die Sektoren einführen, die bislang nicht vom EU-Emissionshandelssystem erfasst sind. Unklar jedoch bleibt auch das Programm der Grünen in puncto Emissionsbegrenzungen. Die Grünen fordern statt einem vollständigen Atomausstieg, lediglich die Begrenzung der Laufzeit von Atomkraftwerken auf insgesamt 40 Jahre.
Noch ambitionierter und konsequenter als die Grünen in puncto Klimaschutz zeigt sich die Linke, obgleich Klimaschutz Sozialpolitik noch nachgestellt sein mag. In ihrem jüngst vorgelegten Fünf-Punkte-Plan zum Klimaschutz fordert die Linke einen europaweiten Kohleausstieg und kostenlosen Nahverkehr. Anders als in dem Entwurf der Kohlekommission vorgesehen, soll der Ausstieg bereits bis 2030 mittels Investitionshilfen und einer entsprechenden sozialen Abfederung abgeschlossen werden. 2040 soll der europäische Energieverbrauch komplett aus Erneuerbaren gedeckt werden. Die Linke möchte die Energieversorgung in öffentliche und genossenschaftliche Hand bringen. Auch Atomstrom und Fracking lehnt die Linke entschieden ab. Die Beseitigung von Umweltschäden soll von denen bezahlt werden, die sie verursachen, also den Unternehmen. Parteivorsitzende Katja Kipping betonte, dass “multinationale Konzerne die Hauptverursacher der Klimakrise” seien. Zudem sollen EU-Subventionen zukünftig sowohl an soziale als auch ökologische Kriterien gekoppelt sein.
Auch das Parteiprogramm der SPD lässt klare Prioritäten erkennen: Soziale Gerechtigkeit und faire Besteuerung. Wie aber steht es um den Umwelt- und Klimaschutz? Das europäische Klimaschutzziel zur Reduktion von Treibhausgasen soll von bisher 40 auf 45 Prozent Minderung bis 2030 angehoben werden. Fraglich jedoch bleibt, ob dabei auch ein Mindestpreis gelten soll. Zudem soll ein CO2-Preis auch für Sektoren außerhalb der Stromproduktion eingerichtet werden. Die geltenden Verbote auf Plastikartikel, welche die EU im Dezember beschlossen hatte und die ab 2021 gelten, sollen ausgeweitet werden. So sollen die Plastikmülleinträge um 50 Prozent bis 2023 reduziert werden. Im November 2017 hatten sich die Mitgliedsstaaten zu einer weiteren Verlängerung der Zulassung es Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat um fünf Jahre ausgesprochen. Die SPD setzt sich für ein Verbot des Unkrautvernichtungsmittels nach 2023 ein. Darüber hinaus soll eine neue Tierschutz-Strategie konzipiert werden, um die Vorgaben bei Tiertransporten und beim Erwerb von Haustieren strenger zu regulieren.
Ernüchternde Bilanz bei CDU und FDP
Der parteipolitische Duktus des Wahlprogramms der CDU/CSU strebt indes eine Harmonisierung von ökologischen und ökonomischen Interessen an. Die Union möchte sich entschieden für den Kampf gegen den Klimawandel einsetzen, allerdings “mit Vernunft und Augenmaß”, wie es in dem Wahlprogramm heißt. Zwar forciere man ein ressourcenschonendes Wachstum, aber unter den Bedingungen von “echten Lebenschancen und Zukunftsjobs”. Die Automobilindustrie möchte man dabei als Innovationstreiber stärken. Die Entwicklung emissionsarmer Antriebsformen soll unter einem technologieoffenen Ansatz innovative Forschung ermöglichen. Die Union schließt dabei ausdrücklich “die Entwicklung des sauberen Verbrennungsmotors” ein. Eine Ablehnung des Diesels steht für die Unionsparteien nicht zur Disposition. Bezeichnend ist im Übrigen auch, dass man erst nach der EU-Wahl über eine CO2-Steuer entscheiden möchte, wie Generalsekretär Paul Ziemiak Ende April verkündete. Ziemiak betonte im gleichen Atemzug, dass man vor allem auf „ marktwirtschaftliche Instrumente [setze], um die Emissionen zu reduzieren.“
Wenig vielversprechend mutet das FDP Wahlprogramm zur Europawahl an. Von den insgesamt 65 Seiten Wahlprogramm, sind gerade mal 3 Seiten dem Klimaschutz gewidmet. Zum Vergleich: Die Grünen schildern ihre Klima-Strategie in ihrem Wahlprogramm auf 33 Seiten. Die FDF möchte auf Europäischer Ebene grundsätzlich keine Verbote durchsetzen, sondern lediglich Anreize schaffen. Daher negiert die FDP auch einen CO2-Mindestpreis. Der CO2-Emissionspreis müsse sich marktwirtschaftlich durch einen weltweit vereinbarten und stringent angelegten Emissionshandel (ETS) bilden.
In jedem Fall: Am Sonntag wählen gehen!
Die Bandbreite an Versprechen und Zielen für die kommenden Legislatur des Europaparlaments ist also breit: Von Verweigerung sämtlicher Maßnahmen bis hin zum staatlich finanzierten Wandel. Klimaschutz ist eins der zentralen Themen dieser Europawahl, und gleichzeitig nur eines von vielen. Wichtig bleibt der Appell, am 26. Mai zur Wahl zu gehen, und seine*ihre Stimme abzugeben. Denn wer selbst nicht wählt, überlässt anderen die Entscheidung.