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Ergebnisse eines segelnden Think Tanks

von Clara von Glasow und Lukas Kiefer

Fliegen ist ver­ant­wortlich für fünf Prozent der glob­alen Erder­wär­mung. Gle­ichzeit­ig sind nur 18 Prozent der Welt­bevölkerung jemals geflo­gen. Diese erschreck­enden Zahlen und die darin enthal­tene Ungerechtigkeit haben vier Niederländer*innen dazu bewegt, ein Pro­jekt zu starten: Sail to the COP. Ziel war es, mit ein­er Gruppe junger Men­schen nach Südameri­ka zu segeln und dort an der UN Kli­makon­ferenz COP25 teilzunehmen. An Bord sollte ein Think Tank stat­tfind­en, in welchem Lösun­gen für eine faire und nach­haltige Zukun­ft des Reisens erar­beit­et wer­den. Was zunächst nach einem ver­rück­ten Plan klang, wurde Real­ität und am 2. Okto­ber 2019 macht­en sich 36 junge Men­schen mit dem Dreimastschon­er Regi­na Maris auf den Weg. Mit an Bord waren zwei Mit­glieder der Kli­madel­e­ga­tion, Lukas und Clara. Sie bericht­en von diesem Aben­teuer, den uner­warteten Neuigkeit­en auf dem Weg, den Ergeb­nis­sen des Think Tanks und wie diese auf der COP25 vorgestellt wurden. 

Wir kön­nen es immer noch nicht fassen, dass wir jet­zt nach 80 Tagen an Bord der Regi­na Maris dieses Schiff, das unser Zuhause gewor­den ist, ver­lassen haben. Am 2. Okto­ber hat­ten wir uns auf den Weg gemacht, um an Bord Lösun­gen für faires und nach­haltiges Reisen zu erar­beit­en und diese auf der COP25 in Chile vorzustellen. 

Nach eini­gen stür­mis­chen Tagen in der Nord­see began­nen wir die Think Tank Arbeit mit ein­er Phase der Prob­le­m­analyse. Wir teil­ten uns in ver­schiedene Arbeits­grup­pen auf und iden­ti­fizierten die fol­gen­den Prob­leme der Rei­sein­dus­trie: Die starke Lob­by und offen­sive Werbe­strate­gie der Luft­fahrtin­dus­trie tra­gen zur Ein­führung von unfairen Richtlin­ien und Geset­zen bei, die die Luft­fahrt ins­beson­dere finanziell bevorzu­gen und nach­haltige For­men des Reisens benachteili­gen. Daraus entste­ht wiederum eine soziale Ungerechtigkeit – denn über 80 % der Welt­bevölkerung sind noch nie geflo­gen. Gekrönt wird das alles schließlich von ein­er man­gel­nden Koop­er­a­tion zwis­chen Län­dern und Unternehmen, die nach­haltige For­men des Reisens län­derüber­greifend attrak­tiv­er machen könnten. 

Nach dieser ersten Analyse wurde es utopisch. Wir fan­den uns in Dreier­grup­pen zusam­men und über­legten gemein­sam, wie unsere per­sön­liche Reiseu­topie ausse­hen kön­nte. Die Ergeb­nisse stell­ten wir uns gegen­seit­ig z.B. in Form von The­ater­stück­en, Tänzen und Plakat­en vor. Die Utopi­en ähnel­ten sich insofern, dass viele Grup­pen sich vorstell­ten, dass Reisen länger und langsamer wer­den würde. Viele wün­scht­en sich auch, dass weniger gereist würde und dass Men­schen in kleinen sich selb­stver­sor­gen­den Gemein­schaften lebten. Andere Grup­pen fokussierten sich zusät­zlich oder mehr darauf, welche inno­v­a­tiv­en, tech­nol­o­gis­chen, emis­sion­sar­men Trans­port­möglichkeit­en es geben könnte.

In der näch­sten Phase iden­ti­fizierten wir Möglichkeit­en für Lösun­gen zu den von uns erkan­nten Prob­le­men. In einem­Cli­math­on, einem For­mat von Cli­mate-KIC, arbeit­eten wir einige Lösungsan­sätze über drei Tage lang inten­siv aus, hat­ten zwis­chen­durch Work­shops zu ver­schiede­nen Meth­o­d­en und Vor­tragsskills und pitcht­en am Ende der drei Tage unsere Ideen in kurzen Präsen­ta­tio­nen vor ein­er Jury. Da der Cli­math­on nor­maler­weise für Star­tups genutzt wird, waren auch unsere Ideen teil­weise recht unternehmerisch. Einige wur­den schließlich von ver­schiede­nen Arbeits­grup­pen in der nach­fol­gen­den Think Tank Phase fort­ge­führt und weit­er vertieft. 

Mit­ten auf dem Atlantik erfuhren wir, dass die COP25 auf­grund von Protesten in Chile nach Madrid ver­legt wurde. Es war uns nicht möglich gegen die Winde zurück nach Europa zu segeln, also set­zten wir unseren Weg Rich­tung Brasilien fort und führte auch unsere Arbeit als Think Tank weiter. 

Als wir in Belém, Brasilien, anka­men, hat­ten wir dann 16 aus­gear­beit­ete Lösungsan­sätze aus den Arbeits­grup­pen Pol­i­cy, Inno­va­tion, Bil­dung, Medi­en & Kul­tur und Klimagerechtigkeit. 


Policy

NDC Enhance­ment
Nationale Kli­maverpflich­tun­gen, die for­mal als Nation­al Deter­mined Con­tri­bu­tions (NDCs) beze­ich­net wer­den, bein­hal­ten kaum Maß­nah­men zur Emis­sion­sre­duk­tion in der Reise- und Luft­fahrtin­dus­trie. Wir haben Vorschläge für den Reis­esek­tor entwick­elt, die in jedem NDC für 2020 enthal­ten sein sollen. 

EU Pol­i­cy
Durch eine nach­sichtige Poli­tik und staatliche Bei­hil­fen begün­stigt die EU die Luft­fahrtin­dus­trie gegenüber den öffentlichen Verkehrsmit­teln. Die Vorteile durch Steuer­be­freiun­gen und kosten­lose Kohlen­stof­fe­mis­sion­sz­er­ti­fikate müssen gestoppt wer­den. Wir haben Posi­tion­spa­piere geschrieben und eine Strate­gie erar­beit­et, wie EU-Recht geän­dert wer­den muss, um faire Bedin­gun­gen für nach­haltiges Reisen in Europa zu schaffen.

ICAO im Ein­klang mit dem Paris­er Abkom­men
Die “Green Growth Strat­e­gy” der Inter­na­tionalen Zivil­luft­fahrtor­gan­i­sa­tion, das Car­bon Off­set­ting and Reduc­tion Scheme for Inter­na­tion­al Avi­a­tion (CORSIA) ste­ht nicht im Ein­klang mit dem 1,5°C‑Ziel des Paris­er Abkom­mens. Wir fordern Refor­men von CORSIA und informieren über die Missstände in einem Podcast.


Innovation

Tikls
Tikls ist eine App und eine Web­site, auf der die Nutzer Über­raschungspakete für authen­tis­che, lokale Reiseer­leb­nisse buchen können.

Vir­tu­al­COP
Vir­tu­al­COP oder ‘vCOP’ ist ein virtuelles Kon­feren­z­er­leb­nis im RPG (Role Play­ing Game)-Stil, das entwick­elt wurde, um die Zugänglichkeit, Inklu­siv­ität und den pos­i­tiv­en Ein­fluss von UNFC­CC-Ver­anstal­tun­gen zu erhöhen. vCOP ermöglicht den virtuellen Zugang zu Ver­anstal­tun­gen, Ver­hand­lun­gen, Ausstel­lun­gen usw. und ist von jedem Lap­top oder Desk­top-Com­put­er mit ein­er geeigneten Inter­netverbindung zugänglich.

Rail to the COP
Die auf dem Atlantik geborene und auf der COP25 bere­its erfol­gre­iche Kam­pagne Rail to the COP geht weit­er, um Tag- und Nachtzüge in Europa attrak­tiv­er und zum neuen Nor­mal für Konferenzbesucher*innen aus Europa zu machen. Näch­ster Halt: COP26 in Glasgow.

GoWare
GoWare ist ein nach­haltiges Arbeit­sreise-Tool zur Pla­nung, Überwachung und Berichter­stat­tung von Geschäft­sreisen. Die Soft­ware unter­stützt die Suche nach Reis­erouten und überwacht ver­schiedene Metriken (wie Ent­fer­nung, Emis­sio­nen, Kosten, Zeit, effiziente Arbeit­szeit und Kom­fort). Eine Berichts­funk­tion hil­ft Unternehmen, ihre Nach­haltigkeit­sziele zu erreichen.

Mod­u­Rail
Mod­u­Rail bietet kom­plett umge­baute und hochge­tak­tete Nachtzüge kom­biniert mit ein­er voll skalier­baren Mietlö­sung, um Men­schen, die inner­halb Europas fliegen, wieder auf die Schiene zu bringen.

Aero­ship
Die Renais­sance der Luftschiffe ver­schwand weit­ge­hend nach dem Aufkom­men der Flugzeuge und eine Rei­he tragis­ch­er Unfälle ließ die Nach­frage abstürzen. Mit dem gestiege­nen Inter­esse an nach­halti­gen Reiseal­ter­na­tiv­en, Fortschrit­ten bei neuen, sicher­eren Mate­ri­alien und Wasser­stoff­spe­ichertech­nolo­gien kön­nten Luftschiffe wieder auf den Plan treten!


Media & Culture

Lächer­lich bil­lige Flüge
Mit den sozialen und ökol­o­gis­chen Auswirkun­gen von Reiseentschei­dun­gen im Mit­telpunkt, umfassen diese Erzäh­lun­gen die Vorteile von ver­ant­wor­tungs­be­wusstem Reisen. Wir unter­stützen Reisende bei ihrem Über­gang zu bewussten Reiseentscheidungen.

Luft­fahrt-Wer­bung
Die Massen­wer­bung im Flugverkehr prägt derzeit unsere Reiseerzäh­lun­gen. Unsere Lob­by gegen Flu­greise-Wer­bung, Incen­tive- und Vielfliegerpro­gramme wird dazu beitra­gen, neue Geschicht­en für ver­ant­wor­tungs­be­wusstes Reisen zu schaf­fen und zu unterstützen.

Con­fes­sion Ses­sions
In der Vide­o­r­ei­he Con­fes­sion Ses­sions öff­nen sich die Teil­nehmer von Sail to the COP und sprechen über ihr ver­gan­ge­nes Rei­sev­er­hal­ten. Sie erzählen per­sön­liche Geschicht­en und reflek­tieren ihre Erfahrungen.


Education

ExPlane
Wir glauben, dass Uni­ver­sitäten als Vor­bild in unser­er Gesellschaft dienen soll­ten, wenn es um faires und nach­haltiges Reisen geht. ExPlane ist eine Plat­tform, die ein Toolk­it, ein Net­zw­erk und ein Men­toren­pro­gramm bein­hal­tet, um Mitar­beit­er und Stu­den­ten zu unter­stützen, die Verän­derun­gen inner­halb ihrer eige­nen Insti­tu­tion fordern.

Mas­sive Open Online Course
Ver­hal­tensän­derung begin­nt mit dem Bewusst­sein. Wir wer­den diesen ersten Schritt durch einen Mas­sive Open Online Kurs (MOOC) zugänglich machen. Durch eine Part­ner­schaft mit ein­er Uni­ver­sität wer­den wir ein Bil­dung­spro­gramm über faires und nach­haltiges Reisen schaf­fen, das für jeden zugänglich ist.


Klimagerechtigkeit

Just Trav­el? – Kam­pagne
Just Trav­el? verbindet drin­gende Kli­ma­maß­nah­men mit Bewe­gun­gen der sozialen Gerechtigkeit. Mit der Kam­pagne für eine europaweite Kerosin­s­teuer und der Ver­wen­dung der Mit­tel für Investi­tio­nen in den öffentlichen Verkehr drängt Just Trav­el? auf die Entwick­lung ein­er sozial gerecht­en Reiseindustrie.

Hand­buch: Geschicht­en von Belast­barkeit und Wider­stand
Jede Geschichte in diesem Hand­buch deckt per­sön­liche Erfahrun­gen auf und bezieht sich auf die Ungerechtigkeit­en der Rei­sein­dus­trie. Im Buch wer­den die Stim­men der Mar­gin­al­isierten gehört, aus­beu­ter­ischen Prak­tiken der Reise­branche beschrieben und inspiri­erende Geschicht­en über Wider­stands­fähigkeit und Wider­stand erzählt.


Den vor­let­zten Teil der Reise während der Über­fahrt von Belém nach Mar­tinique nutzen wir dann, um unseren Think Tank Prozess sowie unsere Lösun­gen präsentabel zu machen. Sie sind inzwis­chen auf der Web­site von Sail to the COP sowie in einem 80-seit­i­gen Report zu find­en. Außer­dem bere­it­eten wir unsere Teil­nahme an der COP25 teil. Da wir nun nicht mehr per­sön­lich vor Ort sein kon­nten, sucht­en  24 Repräsentant*innen, die für uns an der Kli­makon­ferenz teil­nehmen und virtuell von uns unter­stützt wurden.

Wir organ­isierten fünf Side-Events, sprachen auf drei Pan­els und stell­ten kri­tis­che Fra­gen auf mehr als 40 Ver­anstal­tun­gen. Ein Video mit unser­er Nachricht an die Staats-und Regierungschefs sowie Verhandler*innen wurde an ver­schiede­nen Orten auf der COP (u.a. im Chilenis­chen Pavil­lon) abge­spielt. Unsere kri­tis­chen Fra­gen führten zu zahlre­ichen weit­eren Gesprächen, z.B. in Slo­CaT-Ver­anstal­tun­gen und im Bürg­er­dia­log mit Frans Tim­mer­mans. Mit ein­er Gruppe von EU-Jugendlichen haben wir ein NDC Enhance­ment State­ment inklu­sive Luft­fahrt veröf­fentlicht und waren fed­er­führend an einem State­ment der europäis­chen Jugen­dor­gan­i­sa­tio­nen und ‑delegierten zu nach­haltigem Reisen/Verkehr beteiligt.

Alles in allem blick­en wir auf 80 Tage zurück, in denen wir unglaublich viel gel­ernt und erar­beit­et haben, Freund*innen fürs Leben gefun­den und eine Bewe­gung für nach­haltiges Reisen mit vor­angetrieben haben. 

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