Teil der Serie Krisen in Zeiten globaler Ungleichheit
Neben unzähligen Artikeln zu Lufthansa, Autogipfel und Co. hören wir derzeit nur wenig über die Auswirkungen der Corona-Pandemie im Globalen Süden. Das liegt jedoch nicht daran, dass es nichts zu berichten gäbe: Anlässlich des Petersberger Klimadialogs machte etwa die Umweltministerin des ostafrikanischen Landes Ruanda, Dr. Jeanne d’Arc Mujawamariya, klar, welche gravierenden Folgen die aktuelle Pandemie mit sich bringen wird, wie sie bestehende Ungleichheiten verschlimmert und was es jetzt zu tun gilt:
“The Covid-19 crisis has further exposed the unacceptable levels of inequalities in our societies. […] We need to learn from this crisis and acknowledge the root causes of the Covid-19 pandemic — our unsustainable way with nature […]. Let’s work together with the same spirit of global cooperation and urgency [for] building a world that is sustainable for generations to come.”
Jeanne d’Arc Mujawamariya
[Petersberg Climate Dialogue]
Wir haben uns diesen Aufruf zu Herzen genommen und weiten daher den Blick über den deutschen Corona-Tellerrand hinaus.
Die besondere Verletzlichkeit gegenüber Krisen
Globale Ungleichheit wird häufig vor dem Hintergrund der Klimakrise thematisiert – die Rede ist dann von Staaten, die durch klimabedingte Umweltveränderung und Extremwetterereignisse ungleich stärker betroffen sind (etwa aufgrund fehlender finanzieller oder technologischer Ressourcen) – sogenannte vulnerable (also verletzliche) Staaten. Es geht dabei um Länder wie Äthiopien, Indonesien, Venezuela und Vanuatu, in denen vor allem Dürren, Stürme und Fluten schon heute zu großen Problemen führen [2,3,4,5,6]. Es geht aber auch um Länder wie die Marshallinseln, die es aufgrund von Überschwemmungen in 30 Jahren nicht mehr geben wird, wenn sich an der derzeitigen Klimapolitik nichts ändert [7].
Vulnerabilität lässt sich jedoch auch abstrakter sehen – als Verletzlichkeit bzw. Anfälligkeit für Krisen aller Art, also auch für Krisen wie die derzeitige Corona-Pandemie.
Ausgangssituation: Unsicherheit und Ungleichheit
Was vulnerable Länder jenseits einer konkreten Krise gemeinsam haben, sind (unter anderem) eine unsichere Lebensmittelversorgung, schlechte Infrastruktur und weniger finanzielle Mittel. In Verbindung mit einer geographisch und klimatisch schwierigen Position macht sie das besonders gefährdet – denn sie haben nur sehr begrenzte Möglichkeiten, um sich auf die bevorstehenden Schocks und deren Folgen einzustellen.
Eine grundlegend stärkere Verletzlichkeit bedeutet mangelnde Resilienz gegenüber Krisen. So können Staatsbankrotte, Hungerkatastrophen, Epidemien oder Bürgerkriege zum einen ohnehin schon weniger effektiv bekämpft werden — zum anderen werden bestehende Krisen durch weitere, wie die Klimakrise, noch begünstigt und verstärkt [9]. Diese Problematik verschärft sich noch einmal, wenn wir den Blick auf gesellschaftliche Ungleichheiten innerhalb der betroffenen Staaten lenken. Marginalisierte Gruppen — wie etwa Frauen, Kinder, indigene Gruppen, Menschen mit Behinderungen oder solche, die in ländlichen Gebieten leben — leiden unter den Auswirkungen der Krisen besonders stark. [10, 11]
Aktuelle Bedrohung: Covid-19
Nach aktuellem Wissensstand gefährdet die Corona-Pandemie den Globalen Süden deutlich stärker als den Norden. Und sie betrifft insbesondere marginalisierte Gruppen. Als Jugend-Klima-Organisation möchten wir deshalb den Blick nicht nur auf den Globalen Süden lenken, sondern dort besonders das Augenmerk auf die junge, also unsere, Generation legen. Vor dem Hintergrund der sich verstärkenden Klimakrise ist bereits klar, dass junge Menschen besonders betroffen sein werden. Das gilt für jede zukünftige Krise und auch ganz aktuell für COVID-19. Doch wie und warum ist das so?
Gesundheitliche Aspekte
Eine globale Gesundheitskrise hat offensichtlich schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der Menschen und dementsprechend auch für Gesundheitssysteme, die im Globalen Süden ohnehin schon schlechter ausgestattet sind. So ist etwa die Anzahl der Intensivbetten pro Person im Globalen Süden deutlich geringer [12, 13, 14]. Auch ist die Versorgung mit Hygieneprodukten wie Gesichtsmasken schwieriger, die Hygienestandards sind allgemein geringer und es mangelt vielerorts an sanitären Anlagen [15]. Weiterhin haben Gegenmaßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen und Social Distancing deutlich härtere Folgen: Etwa dort, wo Menschen auf ihr täglich erarbeitetes Einkommen angewiesen sind [16], aber auch dort, wo fünf- oder zehnköpfige Familien in einem einzigen Raum mit mehreren Generationen zusammenleben [17].
Krankenversicherungen und generell die Sozialsysteme bieten einen weniger umfassenden Schutz [18]. So ist das Angebot an Vorsorgeuntersuchungen niedriger und auch der allgemeine Gesundheitszustand der Bevölkerung ist schlechter. In Verbindung mit anderen gesundheitlichen Problemen wie parallelen Epidemien, der Belastung durch Umweltverschmutzung oder Unterernährung wird die Situation weiterhin erschwert [19, 20]. Neben den bereits diskutierten psychischen Probleme, besonders auch bei jungen Menschen [21], müssen manche Länder ihre Impfprogramme aufgrund der Hygienebestimmungen oder aus Geldmangel aussetzen [22, 23]. Das gefährdet die noch nicht Geimpften – also vor allem Kinder.
Wirtschaft, Arbeitslosigkeit & Versorgungslage
Anders als in Deutschland ist die wirtschaftliche Situation im Globalen Süden für viele oft eine Frage von Leben und Tod: Die Schwachen der Gesellschaft, die von der Hand in den Mund leben, also dazu gezwungen sind, ihr tägliches Einkommen in Nahrungsmittel für ihre Familien zu stecken, trifft das Herunterfahren der Wirtschaft ungleich stärker. In Dharavi etwa, einem 700.000-Menschen-Slum in der Millionenmetropole Mumbai, patrouilliert die Polizei und unterbindet wirtschaftliche Aktivitäten aller Art. Das nimmt der Mehrheit der Menschen dort die Möglichkeit, irgendwie ihre wirtschaftliche Existenz zu bestreiten [24]. Die häufig bereits stark verschuldeten Staaten können diese Situation kaum abfedern [25].
Hinzu kommt eine auf allen Ebenen schwierige Versorgungslage, die aufgrund der Klimakrise oft bereits angespannt ist. Diese prekäre Situation wird noch verschärft, da viele lokale Märkte geschlossen haben müssen, Lieferketten unterbrochen werden sowie Hilfskräfte in der Landwirtschaft fehlen. Folglich kommt es oft zu Engpässen von Lebensmitteln und es drohen Hunger und Mangelernährung [26, 27]. Das wirkt sich besonders bei Kindern negativ aus, die dadurch in ihrer Entwicklung eingeschränkt werden [28]. Noch unmittelbarer sind die Folgen der Schulschließungen: In 117 Ländern bieten Schulen 310 Millionen Kindern Zugang zu ihrer teilweise einzigen Mahlzeit am Tag. Momentan sind jedoch 1.3 Milliarden Kinder aufgrund der Pandemie nicht in der Schule. Das hat sowohl kurzfristig als auch langfristig gravierende Folgen. [29]
Bildungs- und Zukunftschancen
Wie sich darüber hinaus die weltweiten, monatelangen Kita- und Schulschließungen auf die persönliche Entwicklung heranwachsender Menschen auswirken werden, das können wir heute höchstens erahnen. Diese möglichen und weitreichenden Folgen müssen, bei aller Nachvollziehbarkeit der aktuellen Maßnahmen, für weitere politischen Entscheidungen im Sinne der jungen und zukünftigen Generationen immer mitgedacht werden.
Wenn jetzt über Maßnahmen, Verstaatlichungen und Schuldenschnitte diskutiert wird, muss allen bewusst sein, dass die Folgen der politischen Entscheidungen noch lange spürbar sein werden: Die jetzige Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Globalem Süden und Globalem Norden wird unsere Welt und damit die Zukunft von Milliarden junger Menschen langfristig beeinflussen.
Klima verschlimmert Corona – Corona verschlimmert Klima?
Derzeit rückt die Bedrohung durch die Klimakrise im Vergleich zur Bedrohung durch COVID-19 für viele in den Hintergrund. Nicht, weil die Klimakrise nicht schon heute schwerwiegende Folgen mit sich bringt [30, 31] — COVID-19 ist derzeit für viele Menschen insbesondere im Globalen Norden greifbarer. Dies ändert nichts daran, dass COVID-19 durch die Klimakrise verstärkt wird. Die Gefahren, die Corona im Globalen Süden mit sich bringt, treffen Regionen, wo sich die Klimakrise bereits besonders intensiv auswirkt. Denn hier werden die Folgen der Corona-Pandemie durch die bereits auftretenden Auswirkungen der Klimakrise wie Dürren, Überschwemmungen und Extremwetterereignisse zusätzlich verstärkt. All das belastet gleichermaßen Wirtschaft, Versorgungslage und die Gesundheitssysteme. Das macht es für die betroffenen Gebiete noch härter.
Notwendige Klimaschutz-Maßnahmen kommen schwerer voran, denn ohnehin schon knappe Ressourcen und institutionelle Kapazitäten werden in anderen Bereichen akuter gebraucht. Klima verschlimmert Corona. Und Corona verschlimmert Klima [32].
Doppelkrise – und jetzt?
So in etwa sieht die aktuelle Lage aus. Nicht sehr rosig? Das dachten wir uns auch. Deshalb zerbrechen wir uns seit ein paar Wochen die Köpfe über die aktuelle Situation: Wie sollen Staaten, die sich bereits jetzt und in Vergangenheit angesichts struktureller Probleme, anhaltender Klimafolgen und weiterer Krisen verschulden mussten, diese steigende Häufigkeit und die sich gegenseitig hochschaukelnde Drastik kommender Krisen abfangen? Wir suchen nach Ideen für Ansatzpunkte: Was können und müssen wir von der derzeitigen Krise für andere, zukünftige globale Krisen, wie der Klimakrise, lernen? Und wir reden mit jungen Menschen aus dem Globalen Süden, um von ihnen zu hören, wie sie die Lage erleben und einschätzen. Ein paar von ihnen wollen wir hier, im Rahmen dieser Artikelserie Krisen in Zeiten globaler Ungleichheit eine Plattform geben. Uns geht es darum, jenen eine Stimme zu geben, die bisher in der medialen Debatte viel zu wenig gehört wurden und werden. Denn auch bei COVID-19 kommen überwiegend Menschen aus dem Globalen Norden zu Wort, obwohl das Thema unsere gesamte Welt betrifft.