von Laima Eicke und Christian Deutschmeyer
Eigentlich hätten die Regeln zu Artikel 6 – also dem Handel mit Emissionsreduktionen innerhalb des Pariser Klimaabkommens – schon letztes Jahr in Kattowitz beschlossen werden sollen. Immerhin saßen über mittlerweile sieben Jahren mehr als 70.000 kluge Köpfe an diesem Text. Am letzten Tag der vorherigen COP in Polen waren sich die Verhandler immer noch an 132 Stellen uneinig über die gemeinsame Formulierung. Als die Verhandlungen in Madrid begannen, war die Zahl der Klammern, mit denen diese Stellen markiert werden, nicht geschrumpft, sondern auf 672 gestiegen. Artikel 6 gilt als komplex, birgt viele Risiken, aber auch Chancen. Idealerweise bringt der Artikel zusätzliche Ambitionen für den Klimaschutz. Im schlechtesten Fall könnten schwach formulierte Regelungen jedoch das ganze Abkommen sabotieren. Wir haben die Verhandlungen in Madrid verfolgt und fassen hier unsere Eindrücke zusammen.
Hoffen auf den Markt
Art. 6 des Paris-Abkommens eröffnet die Möglichkeit, zusätzliche Emissionsreduktionen über Marktanreize zu erzielen. So soll es möglich sein (Art. 6.2), dass beispielsweise Kanada von Ghana eine Emissionsminderung kauft, die es sich dann so gutschreiben kann, als ob sie im eigenen Land stattgefunden hätte. Ausgehend von den Annahmen, dass einerseits Klimaschutzmaßnahmen in Ghana günstiger umzusetzen sind und es andererseits für Ghana schwieriger ist, an die nötige Finanzierung dafür zu kommen, könnte dieser Handel beiden Ländern und vor allem dem internationalen Klimaschutz nützen. Daneben schafft Art. 6.4 einen internationalen Markt für den Handel mit Emissionsminderungszertifikaten, an dem sich auch der Privatsektor beteiligen kann. Drittens wird mit Art. 6.8 geregelt wie auch nicht-marktbasierte Ansätze Teil der nationalen NDCs werden können — beispielsweise durch die Finanzierung von Klimaschutzprojekten in anderen Ländern mit Entwicklungshilfegeldern ohne dass hierbei ein Handel mit Zertifikaten involviert ist.
Mehrere kritische Knackpunkte
Die Hauptkritik ist, dass solche Instrumente zum Klimaschutz noch nie ohne Probleme funktioniert haben. Um kontraproduktive Effekte zu vermeiden werden momentan fünf Punkte besonders hart verhandelt:
1. Double Counting: Beidseitige Anrechnung von Emissionsminderungen
Noch ist unklar, wer sich die in einem Zertifikat erfasste CO2 Reduktion anrechnen lassen kann und wie genau — diejenige Partei, die sie kauft, oder die, die sie verkauft? Oder beide zur Hälfte? Ohne ‘corresponding adjustments,’ um das zu regeln, besteht die Gefahr einer Doppelzählung. Dann wären auf dem Papier plötzlich doppelt so viele Emissionen reduziert worden wie in Realität. Trotzdem war nach Woche 1 keineswegs für alle Länder klar, dass ein und dieselbe Reduktionsleistung nicht zweimal gezählt werden sollte.
2. OMGE and Additionality: Zusätzlichkeit der Emissionsminderungen
Sinn und Zweck des Ganzen ist eindeutig die Ambitionen zu steigern: Der Vertragstext fordert die Zusätzlichkeit aller CO2 Einsparungen, also die ‘overall mitigation of global emissions’, die über den Marktmechanismus gehandelt werden. De facto besteht aber ein Anreiz für Länder, Klimaschutzmaßnahmen zuhause schleifen zu lassen, weil es für sie günstiger ist, die Einsparungen über den Markt zu kaufen. Eine Lösung, die die Zusätzlichkeit garantieren könnte, wäre eine automatische Löschungsrate. Santa Lucia und andere kleine Inselstaaten haben diese Idee, nach der bei jeder Transaktion bis zu 50% verfallen sollen, eingebracht und tatsächlich finden sich gerade mehr und mehr Unterstützer hierzu.
Auch hier ist bisher alles offen. Im zweiten Entwurf des Verhandlungstextes, der nach mehrmaliger Verschiebung am späten Samstagabend bekannt wurde, stehen OMGEs wieder in Klammern – das heißt sie könnten gelöscht werden.
3. CDM Transitions: Übertragung aus der Kyoto-Periode
Unter dem Kyoto-Protokoll gab es bereits einen Marktmechanismus — den CDM. Der war nicht ganz so erfolgreich, u.a. weil dort zu viele Zertifikate eine Lenkungswirkung über den Preis verhinderten. Die Zertifikate waren einfach nichts wert. Trotzdem könnten noch bestehende Zertifikate nun in das neue System übernommen und für zukünftige Klimaschutzmaßnahmen angerechnet würden — das fordern insbesondere Brasilien und Indien, die ansonsten auf ihren vielen Kyoto-Zertifikaten sitzen bleiben würden.
4. Share of proceeds
Art. 6.6 legt außerdem fest, dass ein Teil der Einnahmen aus dem internationalen Emmissionshandel für administrative Kosten sowie für den Anpassungsfonds abgezwackt wird, mit dem besonders vom Klimawandel betroffenen Länder unterstützt werden. Wie groß dieser Anteil sein soll, ist eine höchst politische und sehr emotionale Frage, an die sich die technischen Verhandler bisher nicht herangetraut haben.
5. Menschenrechte und Safeguards
Der CDM wurde u.a. auch kritisiert, weil es beispielsweise Regenwaldprojekte gab, die die Rechte indigener Bevölkerungen verletzten. Um solche Konflikte in Zukunft zu vermeiden wäre es wichtig, menschenrechtliche Bestimmungen mit aufzunehmen. Allerdings nicht für alle Länder: zuletzt äußerten Saudi-Arabien am Donnerstag und Ägypten am Freitagabend ihr Unverständnis über die Erwähnung von Menschenrechten an dieser Stelle und ihre jeweilige Meinung zu weiteren unzählige Stellen im Entwurfstext. Damit verbrauchten sie einen großen Teil der auf nur eine Stunde angesetzten Verhandlungszeit. Sichtlich frustriert wurde der Vorsitzende so deutlich, wie man es nur selten in den Verhandlungen hört:
“Colleagues, I have tried to be polite, I have lost patience. We have asked Parties over and over again not to restate what they want and what not. We are wasting our time. We have a job to do.”
Gehört auf der COP25
Danach wurden die Beratungen in kleiner Runde fortgesetzt und die Verhandlungen im Plenum mehrfach verschoben und schließlich gecancelt. Mit deutlicher Verspätung veröffentlichten die Facilitatoren am späten Samstagabend einen zweiten Entwurfstext und am Montagabend der zweiten Woche einen dritten. Anzahl der Klammern: “nur noch” 423, immer noch inklusive aller fünf Knackpunkte. Die große Hoffnung liegt jetzt auf den MinisterInnen und Staatschefs, die mit ihrem größeren politischen Entscheidungsspielraum die Suche nach einem Kompromiss ermöglichen sollen. Weil mit Artikel 6 so vieles auf dem Spiel steht, darf das aber kein Kompromiss um jeden Preis sein.
Zum Weiterlesen (auf Englisch) empfehlen wir die hier verlinkten Artikel auf Climate Change News und Carbon Brief.