Betreff: Forderung nach substantiellen Nachbesserungen am Kohleausstiegsgesetz
Sehr geehrte Mitglieder des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des Deutschen Bundestages,
wir wenden uns heute an Sie bezüglich der am Montag, 25.05.2020, im Wirtschaftsausschuss stattfindenden Sachverständigenanhörung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze (Kohleausstiegsgesetz).
Wir als Klimadelegation e.V., ein Verein junger Menschen, der sich für Klimagerechtigkeit im globalen und intergenerationellen Sinne einsetzt, sind entsetzt vom Entwurf des Kohleausstiegsgesetzes, da:
- 1. dieser eine deutliche Verschlechterung gegenüber dem ersten Referentenentwurf von September 2019 zum Kohleausstieg darstellt.
- 2. damit die von der Bundesregierung für 2020 gesteckten nationalen Klimaziele auf keinen Fall erreicht werden können, obwohl dieses Ziel als Begründung für dieses Gesetz genannt wird.
- 3. dieser weder den Empfehlungen der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (KWSB) folgt, noch gewährleistet, dass die im Pariser Klimaabkommen vertraglich festgelegten Klimaschutzziele, zu deren Einhaltung die Bundesrepublik Deutschland sich verpflichtet hat, erreicht werden. Dieser Gesetzentwurf trägt somit zu einer klimaungerechten Welt bei, denn ein Ansteigen der globalen Durchschnittstemperatur um 1.5 Grad kann damit nicht verhindert werden, was katastrophale Folgen vor allem für die Schwächsten dieser Welt hätte.
Wir sehen insbesondere folgende Punkte besonders kritisch:
- 1. In §2 “Zweck und Ziele des Gesetzes” wird kein konkreter Bezug zu klimapolitischen Zielen hergestellt. Dies wäre aber für einen beschleunigten Ausstieg im Rahmen der Überprüfungsrunden essentiell wichtig, damit dort verstärkt Klimaschutzziele berücksichtigt werden.
- 2. Im Gesetzentwurf ist kein kontinuierlicher Abschaltungspfad enthalten. Es sind für alle Kohlekraftwerke die spätmöglichsten Abschalttermine gewählt, um die Empfehlungen der KWSB für maximal installierte Kraftwerksleistungen in den Jahren 2022, 2030 und 2038 einzuhalten. Nach Anlage 2 werden primär in den Jahren 2028/29 und 2038 Kohlekraftwerksblöcke stillgelegt, davon rund ein Viertel der Kapazität erst 2038. Die Empfehlung der KWSB sieht demgegenüber einen kontinuierlicher Stilllegungspfad vor, der zu deutlich weniger Gesamt-CO2-Emissionen führen würde. Hierbei ist wichtig zu beachten, dass selbst bei kontinuierlicher Abschaltung ein Kohleausstieg bis 2038 nicht 1,5 °C‑konform (d. h. mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar) ist. Die damit einhergehenden dramatischen Folgen für Klima, Gesellschaft und Wirtschaft in Deutschland und der ganzen Welt sind Ihnen vermutlich bewusst.
- 3. Der Gesetzentwurf erlaubt entgegen der Empfehlungen der KWSB die Inbetriebnahme des Braunkohlekraftwerks Datteln IV. Ob ein Ausgleichsmechanismus mit entsprechend höheren Abschaltungen anderer Kraftwerkskapazitäten erfolgen soll, ist nach wie vor unklar. Es ist aber dringend notwendig, einen solchen Ausgleichsmechanismus für die entstehenden Mehremissionen gesetzlich festzulegen, um die von der Bundesregierung selbstgesteckten Klimaschutzziele — eine CO2-Reduzierung um mindestens 55% bis 2030 im Vergleich zu 1990 und Treibhausgasneutralität bis 2050 — noch erreichen zu können.
- 4. Durch den Kohleausstieg freiwerdende Emissionszertifikate müssen gelöscht werden, damit dieser seine klimapolitische Wirksamkeit entfalten kann. Im Gesetz muss klar festgeschrieben werden, dass diese nicht an anderer Stelle verwendet werden, z. B. durch stärker ausgelastete Kraftwerke in anderen EU-Staaten. Denn dies wäre für den Klimaschutz verheerend.
- 5. Im Rahmen des Gesetzentwurfs soll für den Tagebau Garzweiler II energiewirtschaftliche Notwendigkeit in den Grenzen der Leitentscheidung aus dem Jahr 2016 inklusive des 3. Umsiedlungsabschnitts festgestellt werden. Dies bedeutet für alle noch nicht abgebaggerten Dörfer das endgültige Aus. Dabei besteht keineswegs die begründete Annahme, dass dies tatsächlich auch notwendig wäre. Eine Regelung im künftigen Bundesgesetz würde aber die Grundlage dafür legen, dass Enteignungen für eine Ausweitung des Tagebaus überhaupt stattfinden dürfen (BVerfG-URteil 2013). Bisher lag daneben die Ausweisung neuer Tagebaue in reiner Verantwortung der Landesregierungen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Bundesregierung hieran etwas ändern möchte.
- 6. Im Rahmen des Gesetzes soll ein öffentlich-rechtlicher Vertrag mit Braunkohlebetreibern geschlossen werden, um unter anderem die genauen Abschaltzeitpunkte und Entschädigungen zu regeln. Hierbei ist sehr problematisch, dass damit Betreiber sowohl vor nachträglichen Änderungen als auch vor Verschärfungen z. B. der EU-Schadstoffvorgaben geschützt werden sollen. Die somit geplante Verhinderung von nachträglichen Änderungen durch den Gesetzgeber ist nicht hinnehmbar.
- 7. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf würde als frühest mögliches Datum für einen vorgezogenen Kohleausstieg das Jahr 2035 festgeschrieben werden. Die erste energiepolitische Überprüfung mit Möglichkeit, das Abschaltdatum (auch weiter als 2035) vorzuziehen, müsste nach Empfehlungen der KWSB eigentlich 2023 stattfinden, im Gesetzentwurf ist hier aber die erste Überprüfung für 2026 festgelegt. Diese geplante Festlegung im Gesetzentwurf auf spätere als von der KWSB vorgeschlagene Daten würde endgültig jede Möglichkeit nehmen, den Kohleausstieg früher als 2038 anzusetzen, obwohl dies klimapolitisch absolut notwendig ist!
- 8. Die Entschädigungsgrundlagen für Kraftwerksbetreiber bleiben unklar. Es sind konkrete Gesamtsummen genannt (2,6 Mrd. € für Braunkohleanlagen im Rheinland und 1,75 Mrd. € für Braunkohleanlagen in der Lausitz), allerdings ist keine Berechnungsgrundlage angegeben. Vor dem Hintergrund, dass der Großteil der Kraftwerke bereits abgeschrieben ist und Rekultivierungsmaßnahmen grundsätzlich in Verantwortung der Bergbautreibenden liegen, erscheint diese Summe völlig unangemessen und ist nicht mit dem Ideal der intergenerationellen Klimagerechtigkeit vereinbar.
- 9. Der Gesetzentwurf enthält keine weiteren Ausbauschritte und wirksame Änderungen zur Erreichung des 65-%-Regenerative-Energien-Ziels für 2030. Dies ist nicht tragbar.
- 10. Das Strukturförderungsgesetz und die entsprechenden Zahlungen an die Kohleregionen werden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht mit konkreten Abschaltungen von Braunkohlekraftwerken verbunden.
Wir fordern Sie auf, für die oben genannten von uns kritisch gesehenen Punkte am Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Kohleausstiegsgesetz Lösungen zu finden, die es ermöglichen, dass die Bundesregierung ihre selbstgesteckten Ziele und Verpflichtungen einhalten kann: Der vorliegende Gesetzentwurf ist meilenweit vom 1.5‑Grad Ziel des Pariser Abkommens entfernt und somit nicht konform mit dem Recht auf Leben (Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention). Als Minimalanpassung muss dabei eine 1:1‑Umsetzung der Empfehlungen der KWSB gelten, deren Empfehlungen im Zusammenhang mit Klimaschutz im vorliegenden Gesetzentwurf weitgehend außer Acht gelassen wurden.
Aus diesem Grund richten wir den Appell heute an Sie und bitten Sie, jetzt noch die Möglichkeit, die Sie als Mitglieder des Energie- und Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages haben, zu ergreifen! Wir appellieren: Bringen Sie mit Ihrer Ausschussempfehlung einen Gesetzentwurf auf den Weg, der der Verantwortung gerecht wird, die Sie als gewählte Repräsentant*innen der deutschen Bürger*innen für die Zukunft Ihres Landes und auch unserer globalen Weltgemeinschaft tragen!
Bedenken Sie, dass die Entscheidungen, die Sie heute treffen, die Zukunft zahlreicher weiterer Generationen weltweit und insbesondere in den Regionen dieser Welt, die keine Verantwortung für die Klimakrise tragen, langfristig formen wird! Uns ist es im Bezug auf internationale Klimapolitik und ‑gerechtigkeit sehr wichtig, dass wir als Land Deutschland mit einem positiven Beispiel für die internationale Gemeinschaft vorangehen.
Nutzen Sie jetzt noch die Chance, Ihren Beitrag zu einer nachhaltigen, klimagerechten Zukunft zu leisten und verhindern Sie, dass das Gesetz in dieser Form in Kraft tritt!
Mit freundlichen Grüßen
Klimadelegation e. V.