von Sophie Dolinga & Simon Lange
Am Montag, den 9. Dezember 2019 hielten Greta Thunberg und Luisa Neubauer eine gemeinsame Pressekonferenz auf der COP25 in Madrid. Neben ihnen auf dem Panel saßen junge Menschen aus dem Globalen Süden. Greta und Luisa haben nur am Anfang eine kurze Einleitung gegeben und sich danach nicht mehr zu Wort gemeldet – sie wollten den Raum denen überlassen, die heute schon unter der Klimakrise leiden aber nicht die gleiche Öffentlichkeit zuteil wird wie ihnen selbst. Dies war eine schöne Geste, angesichts der Überpräsenz von Perspektiven aus dem Globalen Norden, die wir immer wieder auf den COPs feststellen. Inwiefern die Austragungsorte der Konferenzen dabei eine entscheidende Rolle spielen und es Menschen aus dem Globalen Süden erschweren an den Verhandlungen teilzunehmen, wollen wir in diesem Artikel diskutieren.
Wie viele von euch wahrscheinlich wissen, wechselt der Veranstaltungsort der Klimakonferenz (COP) Jahr für Jahr. Normalerweise ist das Land Gastgeber, das auch die Präsidentschaft inne hält. Diese rotiert jährlich zwischen den Weltregionen. Sollte sich kein Gastgeberland finden oder im Falle logistischer Probleme, wird die COP am Hauptquartier des UN-Klimasekretariats in Bonn abgehalten. In den letzten Jahren hat die COP nun aber oft in oder nahe Europa stattgefunden: 2015 in Paris, danach in Marokko, Deutschland, Polen und Spanien. 2020 werden die Delegationen und Aktivist*innen aus der ganzen Welt nach Großbritannien reisen müssen, um bei der COP dabei zu sein.
Dieser räumliche Fokus ist nur ein weiteres Zeichen dafür, wie die internationale Klimapolitik vom Globalen Norden dominiert wird. Die früh industrialisierten Staaten, wie die europäischen Länder, haben großen Einfluss auf die Verhandlungen. Sie können ihrer Machtstellung dabei nicht nur etwa dadurch Ausdruck verleihen, dass sie große finanzielle Mittel versprechen oder besonders viele Verhandler*innen zur Konferenz schicken. Sie prägen auch maßgeblich die Sichtweise auf den Klimawandel generell und somit auch welche Lösungsansätze geeignet scheinen.
Um genau solchen Ungleichgewichten entgegenzuwirken, rotiert die Präsidentschaft der Verhandlungen jährlich. Dabei kann die COP-Präsidentschaft dafür sorgen, dass neue Perspektiven und Themen auf der Agenda landen, die sonst wenig diskutiert werden, wie es Fidschi 2017 gezeigt hat. Während dieser COP hat der IPCC einen Bericht zu Ozeanen veröffentlicht und es wurde mehr über Adaptation (Anpassung) und Loss & Damage (Verluste und Schäden aufgrund des Klimawandels) gesprochen — Themen, die besonders für kleine Inselstaaten wichtig sind. Doch andererseits fanden sowohl die COP unter der Präsidentschaft Fidschis als auch Chiles 2019 auf europäischem Boden statt (Bonn bzw. Madrid). Zwei Konferenzen, die einen Fokus auf die Belange des Globalen Südens legen sollten, waren aus diesem Grund für weite Teile der heimischen Zivilbevölkerung unerreichbar. Stellt euch vor, nicht wir als Klimadelegation e.V. und auch keine andere deutsche NGO würden an einer Konferenz teilnehmen können, bei der es um Themen ginge, die insbesondere Deutsche oder Europäer*innen betreffe. Vor allem junge Klimaschutzorganisationen aus dem Globalen Süden können sich die Anreise oft nicht leisten, ihre Meinungen werden nicht vor Ort gehört, sie können keine Reden halten. Kurz gesagt, seit über vier Jahren können die Menschen, die am meisten von der Klimakrise betroffen sind, aber am wenigsten dazu beigetragen haben, kaum auf die Klimaverhandlungen vor Ort Einfluss nehmen.
“Le fait que les COPs se déroule en Europe bloque la participation de beaucoup de jeunes africains engagés et disposant des solutions innovantes à partager avec les autres jeunes du monde entier.” (Die Tatsache, dass die COPs in Europa stattfinden, blockiert die Teilnahme vieler engagierter junger Afrikanerinnen und Afrikaner mit innovativen Lösungen, die sie mit anderen jungen Menschen aus der ganzen Welt teilen können.)
Kevin Ossah, Togo
“Climate Justice” (engl. Klimagerechtigkeit) fasst dieses Problem zusammen – und geht noch darüber hinaus. Der Begriff wird auch hierzulande oft in Zusammenhang mit dem Generationenkonflikt der Klimakrise verwendet. Im internationalen Gebrauch meint man damit allerdings hauptsächlich die Benachteiligung von Menschen aus dem Globalen Süden.
Das Thema wird insbesondere von jungen Organisationen auf den Klimakonferenzen diskutiert. Doch weil vorwiegend Menschen aus dem Globalen Norden auf den Konferenzen sind, kommt es oft zu der skurrilen Situation, dass in einer Diskussion zu Climate Justice nur weiße, privilegierte Teilnehmende sitzen. Als würden ausschließlich Männerrunden über Feminismus diskutieren.
“I don’t just want to be vulnerable, I want to initiate change by myself.” (Ich möchte nicht allein verletzlich sein, ich möchte selbst Veränderungen anstoßen.)
Marinel Ubaldo, Phillipines
Die Hürden, um an einer Klimakonferenz teilzunehmen, gehen dabei noch über den finanziellen Aufwand hinaus.
Es gibt zahlreiche Berichte von jungen Aktivist*innen aus dem Globalen Süden, denen das Visum verwehrt wird. Das passiert oft ohne Begründung und trotz “Visa Support Letter” der Vereinten Nationen. In einigen Fällen schaltet sich das UN Sekretariat dann persönlich ein, um die Angelegenheit zu klären.
Dazu stellt Komal aus Fidschi folgende Forderung:
“It takes months of preparation, logistics and visa approvals to attend COP in the EU. What we need is secure funding and a change of venue.” (Man benötigt Monate für Vorbereitung, Logistik und Visa-Bestätigungen um an einer COP in der EU teilzunehmen. Was wir brauchen sind eine sichere Finanzierung und einen Ortswechsel der COP.)
Wir als privilegierte Menschen aus dem Globalen Norden müssen uns unserer Stellung bewusst sein und uns dementsprechend in Zurückhaltung üben. Das heißt konkret: Wir sollten uns dafür einsetzen, dass mehr Menschen aus dem Globalen Süden an Klimakonferenzen teilnehmen können. Auch können wir uns dafür stark machen, dass die Finanzierung und Logistik der Konferenzen weiter unterstützt wird, sodass dies keine Gründe sind, warum finanziell schwächere Länder die COPs nicht austragen können. Wann immer es möglich ist, sollten wir fordern, dass Diskussionsrunden zum Thema “Climate Justice” zumindest zum Teil von Betroffenen besetzt sind.
Außerdem müssen wir lernen, Menschen aus dem Globalen Süden zuzuhören und ihre Perspektive ernst zu nehmen. Die Debatte um die Klimakrise dreht sich in Europa vornehmlich um technische Lösungen, wobei soziale Aspekte oft außer Acht gelassen werden. Erfahrungen aus anderen Ländern können uns allen dabei helfen, das Ausmaß der Klimakatastrophe besser zu verstehen und gemeinsam an Lösungen dazu zu arbeiten.