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Wissenschaft ist nicht verhandelbar

von Lea Gigou und Niklas Wagner

Verhandler*innen auf den Kli­mazwis­chen­ver­hand­lun­gen in mit Slo­gans bedruck­ten T‑Shirts statt in Hem­den und Blusen — dieser Anblick war selb­st für erfahrene Klimaverhandlungsbeobachter*innen etwas Neues. Wie es dazu kam, was es mit der Auf­schrift “Sci­ence is not nego­tiable” auf sich hat und warum ins­beson­dere junge Men­schen fordern, dass poli­tis­che Entschei­dun­gen in Übere­in­stim­mung mit wis­senschaftlichen Fak­ten getrof­fen wer­den müssen, darum soll es in diesem Blog­a­r­tikel gehen. 

Der Sonderbericht des IPCC zu 1.5 Grad Erwärmung

Die Abnahme von Bio­di­ver­sität, ein steigen­der Meer­esspiegel und Men­schen, die von Hunger, Armut und Tod bedro­ht wer­den. Die katas­trophalen Fol­gen der Kli­makrise sind schon lange bekan­nt. Doch im Okto­ber let­zten Jahres hat der Weltk­li­marat IPCC, ein Zusam­men­schluss von mehr als 4000 Wis­senschaftlern, einen Bericht vorgelegt, der die Fol­gen ein­er Erder­wär­mung von 2 Grad über dem vorindus­triellen Niveau mit ein­er Erwär­mung von 1.5 Grad ver­gle­icht. So schreiben die 4000 “Profis für die Kli­makrise” zum Beispiel, dass die Wahrschein­lichkeit des Ein­tretens von irre­versiblen Kipp­punk­ten des Kli­masys­tems bei ein­er Erwär­mung von 2 Grad steigt. 2,5 Mio Quadratk­ilo­me­ter Per­mafrost wür­den beispiel­sweise mehr auf­tauen und den Kli­mawan­del weit­er ver­stärken. Die Bio­di­ver­sität nimmt unter 2°C Erwär­mung glob­al stärk­er ab als bei 1,5°C und mehrere hun­dert Mil­lion Men­schen mehr wür­den in Folge der Kli­makrise von Armut gefährdet sein. In anderen Worten, der 1.5 Grad Bericht des IPCCs legt nahe, dass der Unter­schied zwis­chen 1.5 Grad und 2 Grad Erder­wär­mung ein sehr großer ist und  für die Bewohn­er viel­er Staat­en eine Frage des Über­lebens ist [1]. Wenn Ihr noch mehr über diesen Bericht des IPCC erfahren wollt, dann schaut doch mal hier vorbei.

Eine Frage des Überlebens gegen kurzfristige Interessen

Kleine Insel­staat­en und die Gruppe der  „Least Devel­oped Coun­tries (LDCs)“ wer­den beson­ders hart von den Fol­gen der Kli­makrise getrof­fen wer­den. Deren Inter­essen prall­ten im Juni in Bonn auf die der ölfördern­den Staat­en. Es ging um die Frage, in welchem Umfang der Bericht inner­halb der Ver­trag­s­texte der Vere­in­ten Natio­nen anerkan­nt wer­den soll. Die Sprache dieser Verträge wird nie dem Zufall über­lassen, son­dern ist bis ins kle­in­ste Detail Gegen­stand har­ter Ver­hand­lun­gen. Für die Vertreterin­nen und Vertreter der kleinen Insel­staat­en, der LDCs sowie von Staat­en, die die Entschei­dun­gen der Vere­in­ten Natio­nen auf Grund­lage der besten heute ver­füg­baren Wis­senschaft  sehen wollen, war es deswe­gen unhalt­bar, den Bericht, wie im Rah­men der COP24 disku­tiert wurde, lediglich „zu begrüßen“ oder „in Betra­cht zu ziehen“. Das jedoch forderte Sau­di Ara­bi­en in Zusam­men­schluss mit den USA, Kuwait Rus­s­land und weit­eren ölpro­duzieren­den Län­dern, um nicht an die Fak­ten des Berichts gebun­den zu sein. Sie säten Zweifel an den wis­senschaftlichen Meth­o­d­en des IPCC, beklagten soge­nan­nte „knowl­edge gaps“ inner­halb des Berichts und woll­ten diesen somit nicht als Grund­lage für zukün­ftige Ver­hand­lun­gen betra­cht­en. Während der große Teil der Staatenge­mein­schaft um das Über­leben zukün­ftiger Gen­er­a­tio­nen und den Bestand der Wis­senschaft in poli­tis­chen Entschei­dung­sprozessen kämpfte, sorgten sich andere Teile der Staatenge­mein­schaft lediglich um ihre kurzfristi­gen Inter­essen.

Die Entwicklungen in Bonn

Die Stim­mung auf der Kon­ferenz hitzte sich auf: Ein Vertreter der Gruppe der kleinen Insel­staat­en zum Beispiel beklagte in der BBC, dass es beson­ders sie seien, die darunter lei­den wür­den, wenn die Wis­senschaft diskred­i­tiert wird [2]. Chefver­han­dler der Gruppe der LDCs , Gebru Jem­ber Endalew aus Äthiopi­en fügte hinzu, dass den 1.5 Bericht lediglich zu begrüßen unhalt­bar sei. Auch eine Allianz aus sechs Staat­en unter Führung der Schweiz, die die Entschei­dun­gen der Vere­in­ten Natio­nen grund­sät­zlich weit­er­hin auf wis­senschaftlich­er Grund­lage sehen wollen, teil­ten diese Mei­n­ung zum Entwurf des  Ver­hand­lung­s­texts. Sie ließen spon­tan T‑Shirts bedruck­en mit der Auf­schrift, dass Wis­senschaft nicht ver­han­del­bar sei, die dann auch die Chefverhandler*innen während der Ver­hand­lun­gen über ihren Hem­den und Blusen tru­gen. In der sehr formellen Welt der Vere­in­ten Natio­nen ist dies keineswegs üblich und unter­stre­icht den Ernst der Lage.

Doch alle Mühen waren verge­blich Zwar wurde der Beschluss eines Textes, der offen die Wis­senschaftlichkeit des IPCC-Berichts in Frage stellt, abgewen­det, aber den­noch set­zte sich die Gruppe von Staat­en rund um Sau­di Ara­bi­en mit ihrer Strate­gie, Zweifel an der Arbeit des IPCC zu sähen, durch. So wurde beschlossen dass der Son­der­bericht über eine Erwär­mung von 1.5 Grad nicht mehr for­mal Teil zukün­ftiger Ver­hand­lun­gen sein wird [3] — das macht es qua­si unmöglich, dass kün­ftige Entschei­dun­gen auf UN-Ebene auf dessen Grund­lage getrof­fen wer­den . Somit kam es in Bonn tat­säch­lich dazu, dass poli­tis­che Entschei­dun­gen bewusst von wis­senschaftlichen Fak­ten abgekop­pelt wur­den.

Beson­ders für die jun­gen und zukün­fti­gen Gen­er­a­tio­nen, die am stärk­sten unter den im Bericht beschriebe­nen Fol­gen lei­den wer­den, hat dieser Beschluss weitre­ichende Kon­se­quen­zen. Wir als Kli­madel­e­ga­tion stellen uns daher klar an die Seite der Wis­senschaft, die die inter­na­tionale Staatenge­mein­schaft zu ambi­tion­iertem und sofor­tigem Kli­maschutz antreibt . 

Doch dieses ent­täuschende Ergeb­nis der Zwis­chen­ver­hand­lun­gen kann den IPCC-Bericht nicht rück­gängig machen — die darin ste­hen­den Fak­ten sind bekan­nt. Nun liegt es in der Hand der nationalen Regierun­gen, nicht nur in Ver­hand­lun­gen für einen starken Stand­punkt der Wis­senschaft zu plädieren, son­dern diesen auch in den nationalen Kli­maschutz­maß­nah­men deut­lich wer­den zu lassen. 


[1] Für eine Zusam­men­fas­sung des 1.5 Grad Berichts des IPCCs auf Deutsch siehe Ger­man­watch (2018) hier.

[2] BBC (2019) hier.

[3] Siehe Cli­mate Change News (2019) hier.

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