Delegierte versichern uns: Es wurden wichtige Diskussionen zur Auslotung aller Positionen geführt (in sogenannten spin-offs) und man könne nun endlich voran gehen (mit sogenannten bridging-proposals und einem Mandat zur Erstellung eines klareren Textvorschlags). Kommt einem das bekannt vor? — Ja! Wird es ähnlich auf der nächsten Zwischenverhandlung im Oktober sein? – Wahrscheinlich.
Es ist schwer vermittelbar, dass es mehr als 15 Jahre braucht, die zwischen dem ersten Klimavertrag und heute liegen, um notwendiges diplomatisches Vertrauen und Wissen aufzubauen, damit nun endlich so richtig vorangegangen werden kann. Im Prinzip werkelt man seit geraumer Zeit an einer immer länger werdenden Wunschliste (sogenannter Geneva-Text) mit verschiedenen, höchst widersprüchlichen Optionen und niemand, weder die Vorsitzenden der Verhandlungen, noch die Staaten trauen sich Teile dieser Wunschliste zu streichen. Dabei wäre dies dringend notwendig, denn die politischen Entscheidungsträger in Paris werden nur fähig sein, sich zu einigen, wenn zwei bis drei Optionen auf dem Tisch liegen, nicht 11 mit noch strittigen Formulierungen. Diese Lethargie mag vor allem mit den schlechten Erfahrungen der Kopenhagen Verhandlungen zusammenhängen, in der es eine deutliche längere Wunschliste gab und die Verhandlungen schlussendlich scheiterten. Daher möchte man diesmal alles richtig machen und berücksichtigen, aber tut dies in einer Gelassenheit, die wieder einmal den notwendigen Erfolg gefährdet. Man kann sich das wie eine große WG vorstellen, die seit mehreren Jahren endlich mal gerne die Wohnung putzen möchte und doch nur darüber diskutiert, wie man eine Entscheidung über die Aufgabenverteilung organisieren könnte und dazu noch eifrig Testberichte über Putzmittel liest. Und wie das nun mal so ist, häuft sich der Dreck an, aber nicht bei allen Mitbewohnern gleich, sondern eigentlich nur bei denen die gerne Putzen würden, aber nicht können.
Realtalk: Die in den Hauptstädten diskutierten und auf informellen Ministertreffen angepassten Positionen der einzelnen Länder werden wohl frühestens in Paris und hoffentlich nicht in der letzten Nacht der Verhandlungen auf den Tisch kommen. Die zentralen Punkte tauchen aber nun doch so langsam aus dem Formulierungsdschungel auf. Demnach werden die Knackpunkte wohl in der Formulierung des Langfristziels, eines dazu gehörigen Überprüfungs- sowie Ambitionsmechanismus und der Klimafinanzierung liegen.
Die Klimafinanzierungssitzungen sind ein Trauerspiel. Es passiert weder prozedural noch substantiell etwas, aber man hält den Schein aufrecht, denn Finanzierungsdelegierte haben mindestens 9 Stunden Sitzung pro Tag.
Im großen zweiten Teil der Verhandlungen, der Minderung, sind indes die Weichen auf ein Langfristziel gestellt. Während bei der Formulierung des Ziels schon der G7-Gipfel seine Vorarbeit leistete konnte man nun auch in Bonn vernehmen, dass es wohl ‚irgendwas zwischen Netto-0-Emissionen und Dekarbonisierung‘ geben wird, entscheidend ist aber eben auch der Zeitraum in dem dieses Ziel erreicht werden soll. Bei dem Ambitionsmechanismus (Überprüfung + eventuelle Steigerung) des Langfristziels wurden hingegen regelrechte Verhandlungen geführt. Nun gut, Delegierte trugen zumindest ihre Meinung vor, anstatt nur über Abläufe zu reden. Es zeichnete sich ab, dass man sich darauf einigen könne, nach regelmäßiger Überprüfung des Langfristziels selbst, zumindest nicht weniger als vorher versprochen zu machen. Mit Blick auf Paris kann man resümierend festhalten, dass im Dezember die internationale Gesellschaft für einen Vertrag klatschen soll, der das 2‑Grad-Ziel verfehlt. Überzeugen möchte man daher mit dem Bau einer langfristigen Architektur, die Ambitionssteigerungen im Klimaschutz vorsieht.
Text: Lennart Lagmöller
Bilder: Dorothea Epperlein