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Der Koalitionsvertrag – was steckt drin für die jungen und zukünftigen Generationen?

Seit Mittwoch haben wir in Deutsch­land eine neue Regierung. Den Koali­tionsver­trag, auf den sich CDU, CSU und SPD geeinigt haben, wollen wir deshalb ein­mal genauer unter die Lupe nehmen: Was steckt drin für junge Men­schen und zukün­ftige Gen­er­a­tio­nen? Wie gen­er­a­tio­nen­gerecht ist die deutsche Politik?

Das digitale Klassenzimmer
Ein Dig­i­tal­paket soll die Dig­i­tal-Infra­struk­tur an allen Schulen stärken und Lehrer entsprechend ausbilden.

Pos­i­tiv zu bew­erten ist die angekündigte Bil­dungs- und Forschung­sof­fen­sive, die bis 2021 mit ins­ge­samt elf Mrd. Euro finanziell unter­stützt wer­den soll. Darin inbe­grif­f­en ist der fünf Mil­liar­den Euro schwere Dig­i­tal­pakt für Schulen, der eine Dig­i­tal-Infra­struk­tur an allen Schulen, eine gemein­same Cloud-Lösung für Schulen und eine entsprechende Qual­i­fizierung der Lehrkräfte vor­sieht. Möglich wird dies durch die Lockerung des Koop­er­a­tionsver­bots zwis­chen Bund und Län­dern. Würde das Koop­er­a­tionsver­bot gän­zlich aufge­hoben wer­den, könne sich der Staat an der Finanzierung von Schulen noch bess­er beteili­gen. Zu den Investi­tio­nen im Bil­dungs­bere­ich zählen weit­er die Verbesserung und der Aus­bau des BAföGs in Höhe von 1 Mrd. Euro bis zum Ende der Legislaturperiode.

Ganz Deutschland soll (immer noch) digitaler werden

Mit bis zu zwölf Mrd. Euro soll der Aus­bau der Glas­fas­er-Net­ze finanziert wer­den, freies WLAN soll schon bald in jed­er öffentlichen Ein­rich­tung ver­füg­bar sein. In nahezu jedem poli­tis­chen und gesellschaftlichen Bere­ich – von der dig­i­tal­en Ver­wal­tung bis hin zur dig­i­tal­en Land­wirtschaft – wird angekündigt, „die Chan­cen der Dig­i­tal­isierung“ nutzen zu wollen. Schon im Koali­tionsver­trag von 2013 find­en sich Maß­nah­men für die Baustellen dig­i­tale Schulen, Bre­it­ban­daus­bau, die Dig­i­tal­isierung der Ver­wal­tung und das Daten­recht – getan hat sich im europäis­chen Ver­gle­ich eher wenig. Außer­dem wäre es hil­fre­ich, die Dig­i­tal­isierungsvorhaben in einem eige­nen Dig­i­talmin­is­teri­um zu bün­deln: Diese Chance wurde lei­der ver­tan, Heimat­min­is­teri­um statt Dig­i­talmin­is­teri­um – Zukun­ft sieht anders aus.

Kinderrechte ins Grundgesetz!

Begrüßenswert ist die Ankündi­gung im Koali­tionsver­trag, Kinder­rechte im Grundge­setz zu ver­ankern. Mith­il­fe dieses Grun­drechts ist es jun­gen Gen­er­a­tio­nen möglich zu kla­gen, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Rechte nicht beachtet wer­den. Die gle­ich­berechtigte Posi­tion von Kindern und Jugendlichen gegenüber Älteren wird somit Verfassungsrecht.

Kinder­rechte sollte im Grundge­setz ver­ankert wer­den. Ein guter Schritt, aber da geht noch mehr!

Durch den demografis­chen Wan­del – mehr als die Hälfte der Wähler*innen ist heute über 50 Jahre alt – ver­schieben sich zwangsläu­fig auch die The­men auf der poli­tis­chen Agen­da. Denn: Möchte ich als Poli­tik­er gewählt bzw. wiedergewählt wer­den, richte ich meine Poli­tik an den Bedürfnis­sen der Wäh­ler­schaft aus. Das Prob­lema­tis­che ist, dass dadurch Zukun­ft­s­the­men wie Kli­ma und Bil­dung weniger beachtet wer­den, Renten- und Sicher­heit­spoli­tik hinge­gen einen größeren Stel­len­wert ein­nehmen. Ein niedrigeres Wahlal­ter (wie es Mal­ta jüngst ver­ab­schiedet hat) oder eine Quote für poli­tis­chen Nach­wuchs kön­nten hier Abhil­fe schaf­fen, kom­men im Koali­tionsver­trag aber lei­der nicht vor.

Ausbildung gestärkt, Praktikanten haben weiter Nachsehen 

Die sach­grund­lose Befris­tung von Arbeitsverträ­gen, von denen häu­fig junge Men­schen betrof­fen sind, soll dem Koali­tionsver­trag zufolge zwar eingeschränkt, jedoch nicht gän­zlich abgeschafft wer­den. Wie Arbeit­ge­ber daran gehin­dert wer­den sollen, Arbeitsver­hält­nisse zu befris­ten, ste­ht nicht im Ver­trag. Zudem fehlen geset­zliche Stan­dards für faire Prak­ti­ka, etwa die Begren­zung der Prak­tikums­dauer, eine klare Abgren­zung zu anderen Beschäf­ti­gungsver­hält­nis­sen und ein­deutige arbeit­srechtliche Regelun­gen in punk­to Über­stun­den, Urlaub etc. Zugute hal­ten muss man die Stärkung der Aus­bil­dungs­berufe, die von der Ein­führung ein­er Min­destaus­bil­dungsvergü­tung profitieren.

Unverantwortlich: Rentenproblem weiter vertagt

Im Renten­bere­ich sind Mehraus­gaben vorge­se­hen, die vor allem von den jün­geren Gen­er­a­tio­nen getra­gen wer­den müssen. Mit der „Müt­ter­rente 2.0“ soll Müt­tern, die vor 1992 drei oder mehr Kinder geboren haben, auch das dritte Jahr Erziehungszeit angerech­net wer­den. Hier wird nach dem Gießkan­nen­prinzip Geld aus Renten­beiträ­gen aus­geschüt­tet, das gerechter­weise bess­er aus Steuergeldern zu finanzieren wäre. Grund­sät­zlich find­en wir es richtig, die Erziehungsleis­tung von Müt­tern anzuerken­nen – nur benöti­gen junge Fam­i­lien die Hil­fe der Gesellschaft während der Zeit der Erziehung und nicht erst Jahrzehnte später.

Das Ver­hält­nis der Rente zum Lohn, das soge­nan­nte Renten­niveau, soll bis 2025 sta­bil bleiben und nicht unter 48 Prozent fall­en, die Beitragssätze nicht über 20 Prozent steigen. Über die Zeit danach soll eine Rentenkom­mis­sion nachdenken. 

Die Renten­poli­tik richtet sich nach der älteren Gen­er­a­tion. Zukun­ft­spoli­tik sieht anders aus.

Die Renten­poli­tik richtet sich also nach den Älteren aus und das Prob­lem, das der demografis­che Wan­del mit sich bringt, wird vertagt: 2025 wer­den die ersten Baby­boomer, d.h. Ange­hörige der geburten­starken Jahrgänge 1955–1969, in Rente gehen und das Renten­sys­tem vor enorme finanzielle Her­aus­forderun­gen gestellt. Die Ein­beziehung von Selb­st­ständi­gen in die geset­zliche Renten­ver­sicherung ist ein Schritt in die richtige Rich­tung: Die Basis der Beitragszahlen­den muss ver­größert wer­den, wenn das Renten­niveau sta­bil bleiben soll. Warum aber nicht weit­er denken und auch Beamte und Abge­ord­nete in die geset­zliche Rente ein­beziehen? Das würde Ver­trauen in den Gen­er­a­tio­nen­ver­trag gener­ieren und die jet­zi­gen Beitragszahlen­den finanziell entlasten.

Gute Initiativen in der Sozialpolitik

Junge Fam­i­lien prof­i­tieren von der geplanten Kindergelder­höhung in Höhe von 25€ pro Monat und der Erhöhung des Kinder­frei­be­trags. Zudem sieht der Koali­tionsver­trag eine Förderung des Kita-Aus­baus vor. Diese Maß­nah­men sind begrüßenswert und ger­ade vor dem Hin­ter­grund der Kinder­ar­mut drin­gend geboten. Bei Kindern aus bil­dungs­fer­nen Schicht­en hängt der Kita-Besuch allerd­ings häu­fig vom Geld­beu­tel ab: Daher fordern wir zusät­zlich, dass das let­zte Kinder­garten­jahr als Vorschul­jahr für alle verpflich­t­end und beitrags­frei sein sollte. Langfristig sollte der Kinder­garten kom­plett beitrags­frei werden.

Klimaziel vertagt und der Umwelt auch ansonsten nichts zu bieten

Ent­täuschend sind die Zusagen des Koali­tionsver­trags im Bere­ich Umwelt und Kli­maschutz. Kein direk­tes Ver­bot von Glyphosat, klimapoli­tisch unzure­ichen­der Aus­bau der Erneuer­baren Energien, keine Lösung bei der Zwis­chen­lagerung radioak­tiv­en Mülls.

Um das Kli­maziel 20202 noch zu erre­ichen, müsste man die ältesten und dreck­ig­sten Kohlekraftwerke schließen.

Das Kli­maziel 2020, die Reduzierung des Treib­haus­gas-Ausstoßes um 40 Prozent im Ver­gle­ich zu 1990, hat die große Koali­tion aufgegeben. Bis­lang sind es nur 27 Prozent. Wann und wie es nachge­holt wird, soll erst noch beschlossen wer­den. Dabei kön­nte es ganz ein­fach sein: Um das Kli­maziel noch erre­ichen zu kön­nen, müssten die ältesten und dreck­ig­sten Kohlekraftwerke bis 2020 (die restlichen bis spätestens 2030) still­gelegt wer­den. Dem stimmt auch der Großteil der Bevölkerung zu: In ein­er vom BUND in Auf­trag gegeben Emnid-Umfrage sprechen sich 69 Prozent der Befragten dafür aus, am Kli­maziel 2020 festzuhal­ten und die Abschal­tung der ersten Kohle­meil­er vorzunehmen. Stu­di­en haben außer­dem errech­net, dass dies ohne Gefährdung der Ver­sorgungssicher­heit von­stat­ten gehen könnte.

Fazit

Die guten Ini­tia­tiv­en z.B. in den Bere­ichen Bil­dung, Sozialpoli­tik und Dig­i­tal­isierung lassen nicht darüber hin­wegtäuschen, dass kein großes Reform­pro­jekt bis zu Ende gedacht wor­den ist. Ger­ade in den Bere­ichen Kli­ma und Rente gibt es aus Sicht der jun­gen Gen­er­a­tio­nen noch einiges an Nach­holbe­darf. Es fehlt an ein­er Zukun­ft­spoli­tik mit muti­gen Ideen, die mehr kann, als nur den Sta­tus Quo zu optimieren.

Anna Braam (29) pro­moviert an der Uni­ver­sität Old­en­burg in den Bere­ichen Poli­tik- und Bil­dungswis­senschaften. Seit 2015 engagiert sie sich in der Kli­madel­e­ga­tion und in der Stiftung für die Rechte zukün­ftiger Gen­er­a­tio­nen. Annas State­ment zum Koali­tionsver­trag im Radio-Inter­view mit dem Hes­sis­chen Rund­funk kön­nt ihr hier nachhören. 

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