Es ist kein klimawissenschaftlicher Fakt, dass zwischen 1,99 und 2,01 °C die magische Grenze liegt. Damals war es vor allem eine politische Entscheidung. Was für eine Erwärmung kann man sich „leisten“, ohne die Menschheit zu gefährden und sich gleichzeitig nicht zu stark wirtschaftlich einzuschränken?
Seit Beginn der Industrialisierung ist die global gemittelte Temperatur bereits um 0,8 °C angestiegen. Schon jetzt gibt es erste Inselstaaten, die so stark durch die Klimaerwärmung betroffen sind, dass sie umsiedeln müssen. „Nur“ 1,5 °C bedeuten für zahlreiche Menschen verheerende Folgen, 2 °C wäre für viele Länder des globalen Südens ein „suicide pact“ , wie es Lumumba Di-Aping, der Vorsitzende der G77, der „Entwicklungsländer“, 2009 formulierte. Seit 6 Jahren fordern deshalb insbesondere Länder des globalen Südens und viele Nichtregierungsorganisationen diese Temperaturmarke auf 1,5 °C zu senken.
Seit 6 Jahren gab es kaum Fortschritte in dieser scheinbar verfahrenen Diskussion. Doch plötzlich tut sich etwas: Staaten wie Deutschland, Frankreich und Kanada unterstützen die Forderungen nach 1,5 °C. Sind das unsere neuen Klimagerechtigkeitshelden?
Das 1,5‑Grad-Ziel im Verhandlungstext zu sehen, wäre ein markanter Fortschritt in der Debatte um Gerechtigkeit. Diejenigen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, sind am stärksten betroffen. Für sie, wie für uns alle, ist die lebenswertere Welt eine mit möglichst geringem Temperaturanstieg. Dass diese Begrenzung noch machbar ist, zeigen aktuelle Studien des Umweltinstituts Stockholm und sogar konservative Institutionen wie die Weltbank.
Steht das 1,5‑Grad-Ziel allerdings ohne weitere ambitionierte Forderungen im Vertragstext, ist es kaum etwas wert. Noch ist alles möglich. Im Vertragsentwurf stehen deutliche ambitionierte Ziele neben Versuchen die klare Formulierung zu verwässern: „null Treibhausgasemissionen global bis 2060“ oder „eine langfristige emissionsarme Transformation im Laufe des Jahrhunderts“. Na, wofür steht ihr?
Wer sich für 1,5 °C stark macht, sollte sich auch für ambitionierte Formulierungen an anderer Stelle einsetzen: regelmäßige Überprüfung und Verbesserung der Minderungsziele, Umstieg auf 100% erneuerbare Energien und Dekarbonisierung bis 2050.
Text: Lara Möllney
Fotos: Emma Cassidy | Survival Media Agency und IISD/ENB