Die Massen an fröhlichen Menschen in weißen Schutzanzügen geben ein absurdes Bild ab in der grauen Mondlandschaft der Krater des Tagebaus und lassen manch einen andächtig schaudern. „Das ist ein historischer Moment – wir machen klar dass ein Zeitalter vorbei ist“ sagt eine Aktivistin. Durch den Schutzanzug schimmert ihr leuchtend grünes T‑Shirt auf dem die Aufschrift prangt: „Kohleausstieg ist Handarbeit.“
Mit gemeinsamer Handarbeit erreichten die Aktivisten, dass der Kohleabbau im Tagebau Welzow-Süd für zwei Tage ruhte; das Kraftwerk Schwarze Pumpe war für 24 Stunden vom Kohlenachschub abgeschnitten, da die Kohleverladestation sowie sämtliche Zufahrtsgleise besetzt waren. Sitzblockaden, einzelne angekettete Aktivisten, eine Beton-Pyramide und von Brücken an Kletterseilen herabhängende Aktivisten blockierten die Gleise. Infolgedessen musste Vattenfall die Leistung des Kraftwerks um ca. 80% zurückfahren und lieferte zeitweise gar keinen Strom mehr.
Die Polizei setzte im Gegensatz zum Einsatz bei der letzten Ende-Gelände-Aktion im Rheinland im Sommer 2015 auf eine klar deeskalierende Strategie und griff trotz mehrerer Aufforderungen Vattenfalls zur Räumung nur vereinzelt, wenn auch brutal ein und nahm etwa 100 Aktivisten fest. Vattenfall erstattete Anzeige wegen Land- und Hausfriedensbruchs sowie Nötigung und Störung öffentlicher Betriebe. Die Staatsanwaltschaft ließ unterdes verlauten, dass ihrer Einschätzung nach Teile dieser Vorwürfe nicht gegeben seien.
Damit erreichten die Aktivisten mehr, als sie zu Beginn der Aktion zu träumen gewagt hatten. Dementsprechend ausgelassen war die Stimmung – ob beim Tanzen auf den Gleisen zu Sambatrommeln im Glitzerregen, auf dem Sonnendeck der kurzerhand umgetauften Bagger, beim Frisbee und Karten spielen oder als mit Gesängen und Guter Laune die enorme Kälte der Nächte vertrieben wurde. Auf die Anti-AKW Bewegung folgt nun die Anti-KKW-Bewegung und vereint Menschen jeden Alters und verschiedenster Hintergründe, ob Studenten, Schüler, Landwirte. Viele reisten über Wochen mit dem Fahrrad an – aus England, Frankreich, Schweden und Österreich. Auch international berühmte Persönlichkeiten wie Alberto Acosta, Noam Chomsky, Naomi Klein oder auch Vandana Shiva erklärten ihre Unterstützung.
Sie alle einte der Wunsch eine klare Botschaft an Regierungen und Konzerne senden, Kohle im Boden zu belassen, den Abbau zu beenden und erneuerbare Energien auszubauen. Um das in Paris erklärte Ziel von maximal 2° bzw. sogar das von der Wissenschaft geforderten max. 1,5°C der Erderwärmung im Jahr 2100 zu erreichen müssten mindestens 80% der bekannten Kohlevorkommen in der Erde verbleiben und somit ein Kohleausstieg so bald wie möglich umgesetzt werden.
Neben der enormen Freisetzung von Klimagasen hat der Kohleabbau erhebliche Auswirkungen auf Mensch und Natur: Mehr als 18.000 Menschen sterben in der EU jährlich an der Luftverschmutzung durch Kohlenstaub, Gewässer werden verschmutz und ganze Dörfer abgerissen – der Standort des Klimacamps Proschim ist akut von diesem Schicksal bedroht. So reagierten die Lausitzer ganz unterschiedlich auf die angereisten Aktivisten. 1000 Menschen schlossen sich einer Anti-Kohle Demo durch die Dörfer an, und bedankten sich ausdrücklich für die Unterstützung. Für andere ist der Kohleabbau erheblich mit der eigenen Familiengeschichte und Identität verwoben. Sie sehen die Industrie als eine der wenigen verbleibenden Arbeitgeber in der Region und fürchten sich vor Perspektivlosigkeit. Infolgedessen zogen am Samstagabend Gruppen durch die Gegend, randalierten und bewarfen Demonstranten von Brücken aus mit Gegenständen. Dabei könnte ein Ausstieg aus dem Kohleabbau für eine bereits technisch mögliche Versorgung durch erneuerbare Energien durchaus partizipativ und sozial verträglich gestaltet werden. Staatliche Kohle-Subventionen, Investitionen öffentlicher und privater Fonds in Kohle und Lobbygruppen lassen den Ausbau erneuerbarer Energien und der daran angepassten Stromnetze nur schleppend vorangehen.
Ende Gelände sieht sich als zivilgesellschaftliches Signal dagegen. Das Bündnis Ende Gelände sagt von sich: „Wir sind das Investitionsrisiko“ auf das sich der neue tschechische Investor gefasst machen muss, wenn Vattenfall aus Imagegründen die Lausitzer Grube nun verkaufen will. Es ist ein deutliches Signal an Konzerne und Regierungen, an die Klimazwischenverhandlungen, die heute in Bonn beginnen, sowie an die kommenden G7 und G20 Gipfel.
Ende Gelände ist damit Teil einer weltweiten Welle an Kohleprotesten, die unter dem Schlachtruf „Break Free from Fossil Fuels“ ein Ende von Kohlesubventionen und Divestment fordern. So besetzten etwa Aktivisten das größte Kohlekraftwerk Brasiliens und Mienen in Australien und den USA. Hunderte Kanadier demonstrierten in Vancouver gegen die Verschiffung von Öl aus Teersanden. Sie alle setzten damit Zeichen der Solidarität mit den Menschen, die am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen sind im Namen der Klimagerechtigkeit.
Text: Laima Politajs
Bilder: Ende Gelände