von Sophie Dolinga
Diesen Sommer wollten wir, eine Gruppe Freund*innen aus Münster, eine Fahrradtour ans Meer machen. Als wir dann allerdings Anfang September hörten, dass sich die Situation im Hambacher Forst zuspitzte und die Räumungsarbeiten für die drohende Rodung zu beginnen schienen, entschlossen wir uns kurzerhand dazu, unsere Route umzuplanen: Wir wollten von Münster in den Hambacher Forst fahren, uns ein Bild von der Situation machen und dabei unserem Protest gegen die drohende Rodung Ausdruck verleihen.
Bereits 3.900 Hektar des Hambacher Forsts, der laut Angaben des BUND auf eine 12.000 Jahre alte Entstehungsgeschichte zurückblickt, wurden für den Braunkohleabbau, also eine der klimaschädlichsten Energiegewinnungsarten, durch den Energiekonzern RWE bereits gerodet. Nachdem letztes Jahr ein Rodungsstopp erwirkt wurde, sollen dieses Jahr mehr als 100 der restlichen 200 Hektar abgeholzt werden. Seit Jahren setzen sich Aktivist*innen für den Erhalt des Waldstückes ein. Einige von ihnen leben vor Ort, um eine Abholzung zu verhindern. Die aktuell beginnenden Räumungen für die Rodungsarbeiten ab Oktober werden von verschiedenen Akteur*innen insbesondere vor dem Hintergrund der tagenden Kohlekommission kritisiert. Die Kommission, an der neben Umweltorganisationen unter anderem auch Industrieverbände und Vertreter*innen der Wissenschaft beteiligt sind, soll bis Dezember dieses Jahres einen Plan zum Ausstieg aus der Kohleverstromung vorlegen. Viele Aktivist*innen sehen in der geplanten Rodung eine Provokation, die die Arbeit der Kommission untergraben würde.
Rauf auf’s Fahrrad, ab in den Wald
Angesichts dieser Situation wollten wir uns also selbst auf den Weg machen. Wir brachten unsere Fahrräder in Schuss, malten Banner und riefen über soziale Netzwerke dazu auf, sich uns anzuschließen. Am Dienstagmorgen wurden dann die Räder bepackt, Fähnchen befestigt und es ging los in Richtung Hambacher Forst. Die Strecke führte uns quer durchs Ruhrgebiet, am Rhein entlang und der Erft folgend direkt an den Hambacher Tagebau. (Stein-)Kohleförderung, rauchende Schornsteine und riesige Industrieanlagen prägten den Weg ebenso wie Zeichen des Strukturwandels, wie etwa das kürzlich vom Netz genommene Braunkohlekraftwerk Frimmersdorf.
Nach drei Tagen auf dem Rad kamen wir Nahe Elsdorf an der Abbruchkante an. Das kilometerbreite Loch, das der Tagebau in die Umgebung gerissen hat und in dem riesige Schaufelradbagger klein wie Spielzeug aussehen, lag nun direkt vor uns. Am anderen Ende winkte der Hambacher Forst. Dieser Anblick motivierte uns noch einmal für die letzten Kilometer.
Friedliche Stimmung
Als wir am Hambacher Forst ankamen, säumten neben Polizeiautos auch viele Privatfahrzeuge den Weg. Wir trafen an der so genannten Mahnwache ein, direkt gegenüber vom Eingang in den Wald, wo Aktivist*innen mit Kaffee und Tee versorgt werden und sich austauschen können. Viele Menschen kamen an diesem Abend in dem Wald, Aktivist*innen verschiedener Umweltorganisationen, aber auch Familien mit Kindern und Spaziergänger*innen. Am Morgen war bei einer Räumaktion durch RWE ein großer Haselnussstrauch gefällt und daraufhin von mehreren Organisationen der sogenannte Tag X ausgerufen worden. Damit war eine bundesweite Massenmobilisierung in die Wege geleitet worden. Auch jetzt noch sind alle dazu aufgerufen, in den Hambacher Forst zu kommen und für dessen Verteidigung einzustehen.
Nachdem wir die Polizeikontrolle passiert hatten, konnten wir frei im Wald spazieren gehen. Zwischen den Bäumen trafen wir auf zahlreiche andere Besucher*innen-Gruppen sowie auf Aktivist*innen, die vor Ort leben. Diese empfingen uns ganz offen und erzählen uns von den letzten Tagen und dem Räumungsversuch am Morgen, bei dem nicht nur besagter Haselnussstrauch gerodet, sondern zum Beispiel auch eine Versorgungsplattform zerstört wurde. Durch die friedliche Präsenz so vieler Menschen im Wald und trotz der vergangenen Konfrontationen mit der Polizei und RWE-Mitarbeiter*innen schien die Stimmung zu diesem Zeitpunkt aber ruhig und entspannt.
Klimaschutz geht uns alle an
Noch am selben Abend fuhren wir voller neuer Eindrücke zurück nach Münster – nicht ohne den Wunsch möglichst bald zurück zu kommen, und uns weiterhin für den Erhalt des Hambacher Forsts vor Ort und aus der Ferne einzusetzen. Im Wald haben wir spüren können wie wichtig es ist, zu zeigen, dass uns das, was im Hambacher Forst geschieht, nicht egal ist. Klimaschutz geht uns alle an.
Um der drohende Räumung und Rodung entgegen zu wirken und ein Zeichen für den Kohleausstieg zu setzen, ist jede*r dazu eingeladen, selbst in den Wald zu kommen. Jede*r kann sich selbst ein Bild von der Situation machen, die Aktivist*innen vor Ort durch Verpflegung unterstützen oder eine oder mehrere Nächte im Wald übernachten. Dabei ist für uns ganz klar: Gewaltfreier Aktivismus ist der einzige Weg sich nachhaltig für Klimaschutz einzusetzen.
Die Diskussion um den Hambacher Forst hält in und außerhalb des Waldes an. Die Lage kann sich jederzeit verändern, die Stimmung umschlagen. Aktuelle Einblicke und Meldungen findet ihr zum Beispiel auf Twitter.
Sophie ist seit 2017 Mitglied der Klimadelegation. Sie interessiert sich vor allem für Themen rund um die Sensibilisierung von Menschen in Bezug auf den Klimaschutz und die sozial-ökologische Transformation.