von Lena Rölfer
Kleine Inselentwicklungsländer und der Klimawandel
In Zeiten sozialer Isolation, stagnierender Wirtschaft und Sorge um die persönlichen Folgen der Corona-Pandemie fühlen sich momentan vermutlich viele Menschen besonders verletzlich. Mit einer hohen Geschwindigkeit sind wir von einer bisher unbekannten Krise überrollt worden, die wohl niemand hat kommen sehen und der wir — zumindest kurzfristig — in vollem Maße ausgesetzt sind.
Eine weitere Krise schleicht sich etwas langsamer und zuweilen leiser von hinten an — für manche bislang vielleicht unhörbar, oder für jene, die gekonnt wegsehen, schlicht nicht sichtbar. Die Rede ist von der Klimakrise. Trotz der Tatsache, dass wir in Deutschland und anderen Teilen Europas diese Krise oft nicht präsent in unserem alltäglichen Leben wahrnehmen, bekommen Menschen an anderen Orten der Welt längst die volle Bandbreite der Konsequenzen zu spüren.
So trifft es beispielsweise bereits die Bewohner*innen von kleinen Inselentwicklungsländern. Die Karibischen Inseln, Malediven oder Seychellen: mit ihren einzigartigen Stränden und einer atemberaubenden Artenvielfalt in ihren Tropenwäldern sowie den vorgelagerten Korallenriffen, sind sie ein beliebtes touristisches Reiseziel. Diese Idylle ist jedoch stark vom Klimawandel bedroht. Obwohl die Inselstaaten für weniger als 1 % der totalen Treibhausgasemissionen weltweit verantwortlich sind, sind sie um ein Vielfaches stärker vom Klimawandel sowie dessen Folgen betroffen als andere Nationen.
Was sind kleine Inselentwicklungsländer und warum sind sie einzigartig?
Die kleinen Inselentwicklungsländer, auf Englisch Small Island Developing States — oder kurz SIDS - sind eine Gruppierung von 38 Inselstaaten, welche als weniger entwickelte Länder eingestuft sind. Sie wurden 1992 auf der Konferenz der Vereinten Nationen (UN) über Umwelt und Entwicklung (Rio Earth Summit) erstmals als eigenständige Gruppierung anerkannt. Die SIDS verteilen sich über Regionen der Karibik, des Pazifiks, des Atlantiks, Indischen Ozeans und dem südchinesischen Meer und liegen zu 90 % in tropischen Breiten. Untereinander weisen sie ähnliche soziale, ökologische und ökonomische Gegebenheiten auf und unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von “Festland-Staaten”.
Zu den Besonderheiten von SIDS zählen unter anderem ihre geringe Größe, geographische Isolation, allgemeine Ressourcen- und Frischwasser-Knappheit, sowie ein starker und andauernder Biodiversitätsverlust. SIDS sind in hohem Maße auf gesunde Ökosysteme angewiesen, um ihre Lebensgrundlage und ihr Einkommen aus Fischerei, Aquakultur und Landwirtschaft zu sichern. Diese Ökosysteme sind jedoch häufig durch Verschmutzung und Landnutzungswandel geschwächt. Zudem stehen SIDS aufgrund ihrer geringen Größe sowie ihrer folglich begrenzten lokalen Ressourcen in einer starken Abhängigkeit zum internationalen Handel und Tourismus. Letzterer ist zugleich Fluch und Segen: Obwohl der Tourismus einerseits einen erheblichen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt der Inselstaaten leistet, setzt er andererseits die bereits geschädigten Ökosysteme, wie zum Beispiel Korallenriffe, zusätzlich unter Druck.
All diese Umstände machen SIDS einzigartig — aber auch besonders verletzlich gegenüber weiteren belastenden Einflüssen wie zum Beispiel dem Klimawandel.
Kleine Inselentwicklungsländer und die Klimafolgen
Schon heute sind SIDS von einigen, natürlicherweise vorkommenden, extremen Wetterereignissen betroffen, häufig bekannt aus den Medien: Sie leiden unter den verheerenden Folgen tropischer Stürme, anhaltender Dürren und wiederkehrender Hitzewellen, sowie Überflutungen durch besonders starke Regenschauer. Mit fortschreitendem Klimawandel und steigendem Meeresspiegel werden insbesondere solche Extremwetterereignisse nicht nur in ihrem Ausmaß, sondern auch in ihrer Häufigkeit verstärkt.
Solche Extremwetterereignisse führen unter anderem zur Abtragung von Küste (Küstenerosion), Verlust ökonomisch wichtiger Gebäude oder dem Schwinden von Frischwasser-Ressourcen, welche ohnehin limitiert sind und zusätzlich durch Salzwassereinträge verunreinigt werden. Ein weiteres, prominentes Beispiel für die Folgen des Klimawandels ist die stetige Degradierung von Korallenriffen durch Ozeanversauerung und dem Anstieg der Wassertemperatur. Dies führt nicht nur zu einem extremen Biodiversitätsverlust, sondern kann dadurch auch die Lebensgrundlage — basierend auf Tourismus und Fischerei — vieler Inselbewohner*innen vernichten.
2016 hat der tropische Wirbelsturm “Winston” verheerende Zerstörungen an Häusern und Infrastruktur auf Fiji verursacht.
Klima(un)gerechtigkeit
SIDS fallen per Definition unter den Status der Entwicklungsländer. Diese Staaten weisen also wenige sozial-ökonomische Strukturen auf, was auch dazu führt, dass sie nur einen sehr geringen Anteil an den globalen Treibhausgasemissionen tragen. Auf der anderen Seite sind sie durch eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung, mangelnde Bildungsmöglichkeiten und eine schwache industrielle Entwicklung besonders verletzlich und haben den Auswirkungen des Klimawandels kaum etwas entgegensetzten. Dies erscheint paradox und ist ungerecht: Die Länder, welche am wenigsten für den Klimawandel verantwortlich sind und zu den Ärmsten und Verwundbarsten zählen, sind gleichzeitig am stärksten davon betroffen.
“Small Island Developing States have already experienced changes due to climate change. However, their carbon footprints are small and they are too small to mitigate climate change which really requires global effort. At the same time, SIDS have been left alone to adapt to climate change in the absence of adequate international funding to support them.”
„Kleine Inselentwicklungsländer haben die Veränderungen durch den Klimawandel bereits erlebt. Ihr gemeinsamer “Carbon Footprint” ist jedoch klein — und zu klein um den Klimawandel abzuschwächen — was tatsächlich globale Bemühungen erfordert. Gleichzeitig werden diese Staaten allein gelassen mit der Aufgabe, sich an den Klimawandel anzupassen, da es keine angemessene internationale finanzielle Unterstützung für sie gibt.“
Prof. Michelle Mycoo — Koordinierende Erstautorin des Kapitels “Small Islands” der Arbeitsgruppe II des kommenden 6. IPCC Sachstandsberichts.
Während der UN-Klimakonferenz 2015 in Paris hat die Gruppe der SIDS ihre speziellen Gegebenheiten und besondere Verletzlichkeit gegenüber dem Klimawandel vorgetragen. Auf jahrelanges Drängen dieser Staaten, über die Notwendigkeit ambitionierter Klimaschutzmaßnahmen, hin wurde das Ziel, die Temperaturerhöhung auf 1,5°C zu limitieren, in das Pariser Abkommen aufgenommen.
Ein Überschreiten des Ziels hat gravierende Folgen für die Lebensgrundlage der Inselbewohner*innen. Zusätzliche internationale Bemühungen den Klimawandel zu verlangsamen sowie umfassende finanzielle Unterstützung sind daher nötig, um Kosten für die nötige Anpassung und die kommenden Verluste dieser verletzlichen Länder zu kompensieren.
Welchen Pfad wählen wir?
Die Bewältigung der aktuellen Corona-Pandemie droht die Klimaschutzpolitik auf nationaler und internationaler Ebene zu verzögern, wenn vermeintlich wirtschaftliche Interessen dem Umwelt- und Klimaschutz — und damit kurzfristige Interessen den langfristigen Zielen — vorgezogen werden. Gleichzeitig wird die Entwicklung kleiner Inselentwicklungsländer durch die Pandemie stark verzögert, was sie umso verletzlicher gegenüber den Folgen des Klimawandels macht.
“The SIDS agenda can easily be buried under the weight of the pandemic and the need to resuscitate both local economies and global trade.”
“Die Agenda von kleinen Inselentwicklungsländern kann leicht unter dem Gewicht der Pandemie und der Notwendigkeit, sowohl die lokale Wirtschaft als auch den globalen Handel wiederzubeleben, begraben werden.”
Prof. Michelle Mycoo
Diese Verletzlichkeit von kleinen Inselentwicklungsländern aber ebenso von anderen, weniger widerstandsfähigen Staaten, darf gerade jetzt nicht aus den Augen verloren werden. Sie sind von gemeinsamen, internationalen Anstrengungen zur Bekämpfung des Klimawandels und dessen Folgen abhängig. Sofortige und mutige Klimaschutzmaßnahmen sind notwendig, um die am stärksten vom Klimawandel gefährdeten Menschen zu entlasten.
Die Frage ist nun: Gehen wir zurück zu „business-as-usual“, oder investieren wir verstärkt in Klimaschutz und eine nachhaltige Entwicklung? Wir befinden uns derzeit an einer Weggabelung und müssen uns entscheiden, welche Zukunft wir wollen und welchen Pfad wir wählen.
Acknowledgement
The research is co-funded from the European Commission and the German Ministry of Research and Education (Grant Agreement reference 690462) Project INNOVA — Innovation in Climate Service Provision (https://www.innovaclimate.org). Results are based on a workshop that was held in Guadeloupe in Nov 2019. We would like to thank all participants for their contributions. More information can be found under https://www.innovaclimate.org/workshop-on-earth-observation-and-coastal-climate-services-for-small-islands/.
Quellen
IPCC (2019) Special Report: The Ocean and Cryosphere in a Changing Climate. in preparation. https://doi.org/https://www.ipcc.ch/report/srocc/
Rölfer L, Winter G, Máñez Costa M, Celliers L (2020) Earth observation and coastal climate services for small islands. Clim Serv 18:100168. https://doi.org/10.1016/j.cliser.2020.100168
UN-OHRLLS (2017) Small Island Developing States in Numbers: Updated Climate Change. Office of the High Representative for the Least Developed Countries, Landlocked Developing Countries and Small Island Developing States (UN-OHRLLS)
Weiterführende Links
https://de.euronews.com/2019/12/06/lasst-der-klimawandel-kleine-inselstaaten-verschwinden